Um etwa ein Viertel ist in Stuttgart seit 2005 die Zahl der Rentner gestiegen, deren Bezüge so gering sind, dass sie Grundsicherung im Alter benötigen. Und die Tendenz ist weiter steigend.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Heute gibt es gefüllte Paprika in Tomatensoße mit Bandnudeln. Knapp 20 Senioren, es sind vor allem Frauen, sitzen an den Tischen in dem lichtdurchfluteten Saal im dritten Geschoss des Hauses an der Ostendstraße. Die großen Fensterfronten geben den Blick frei auf die Dächer der Umgebung, auf den Kappelberg und auf die waldigen Höhen über dem Stuttgarter Osten. In einer Voliere zwitschern Vögel, das Radio spielt Schlager.

 

„Im Allgemeinen ist der Tisch ganz voll“, sagt eine 90 Jahre alte Dame, die jeden Tag zum Essen von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) daheim abgeholt wird. Eine Zeit lang habe sie sich das Essen nach Hause bringen lassen, erzählt die 90-Jährige, die heute in einer Dreierrunde speist. „Aber da haben mir die Kontakte gefehlt.“ Der Damenkreis ist munter. „Ich komme einmal in der Woche zum Essen her“, sagt eine 85-Jährige, die auch aus Gablenberg stammt. „Sonst gehe ich in den Singkreis und zur Gymnastik.“ Später ist Spielenachmittag, der immer viel Zuspruch findet.

In Stuttgart gibt es 33 Altenbegegnungsstätten

Die Altenbegegnungsstätte der Awo an der Ostendstraße ist eine von 33 in Stuttgart. Die Einrichtungen sind Kernelemente der Altenhilfe in der Stadt. Hier finden die alten Menschen Kontakte, so dass sie nicht vereinsamen, sie können Kurse und Veranstaltungen besuchen, die sie fit halten. Und sie erfahren auch, was ihnen gesetzlich zusteht und welche Hilfen sie bekommen können, wenn sie alleine zu Hause nicht mehr zurechtkommen. Den günstigen Mittagstisch können sich auch ältere Menschen leisten, die nur geringe Einkünfte haben. Denn deren Zahl wächst. Seit 2005 hat die Zahl der Älteren, welche die sogenannte Grundsicherung im Alter bekommen, von 3455 auf 4313 im vergangenen Jahr zugenommen, das ist knapp ein Viertel mehr. Bei den ausländischen Mitbürgern im Rentenalter lag der Anstieg sogar bei knapp 30 Prozent. Insgesamt ist damit der Anteil derer unter allen Stuttgarter Rentnern ab 65, die staatliche Unterstützung brauchen, von 3,2 Prozent im Jahr 2005 auf 3,8 Prozent 2011 gestiegen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Zum einen ist es die demografische Entwicklung, die Menschen werden immer älter. Bemerkenswert ist dabei, dass der Anteil der Frauen mit 52 Prozent über dem der Männer liegt. Zum einen, sagt der stellvertretende Sozialamtsleiter Stefan Spatz, „werden die Frauen einfach älter“. Und in der Generation, die jetzt im Ruhestand ist, haben sie meist „keine armutsfeste Rente“.

52 Prozent der Anträge stellen Frauen

Dann hat der Bedarf älterer Menschen auch mit den hohen Mieten und den hohen Nebenkosten in einem Ballungsraum wie Stuttgart zu tun. Und es macht sich inzwischen auch in der Rentnergeneration bemerkbar, dass die Berufsbiografien nicht mehr so kontinuierlich verlaufen wie einst, sondern von Brüchen geprägt sind, etwa durch Arbeitslosigkeit. Dies gilt nicht zuletzt für die Gruppe der Zuwanderer.

Und noch ein Faktor hat die Zahlen steigen lassen: Nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSIG) besteht seit einigen Jahren nur noch eine eingeschränkte familienbezogene Unterhaltspflicht. Kinder von Rentnern werden nur dann zum Unterhalt ihrer Eltern herangezogen, wenn sie ein sehr hohes Einkommen haben. Das dürfte dazu geführt haben, dass auch Senioren, die früher ihren Kindern auf keinen Fall zur Last fallen wollten, jetzt Unterstützung beantragen. Die Gruppe der sogenannten „verschämten Armen“ hat ihre Haltung vermutlich auch verändert, seit die Rentenversicherungsträger verpflichtet wurden, Senioren über ihre Rechte zu informieren und bei der Antragstellung zu unterstützen. „Das Ziel war, dass die Menschen die Leistungen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch nehmen“, sagt Spatz über die gesetzliche Neuerung.

Die Kosten sind um 35 Prozent gestiegen

Diese Entwicklung schlägt sich auf die Kosten nieder. So sind die Ausgaben der Stadt für die Grundsicherung im Alter von knapp 32 Millionen Euro im Jahr 2006 auf gut 43 Millionen Euro im Jahr 2011 gestiegen (die Werte enthalten allerdings zu etwa einem Drittel noch Ausgaben für Menschen mit einer Erwerbsminderung, die jünger als 65 sind). Das entspricht einer Zunahme von 35 Prozent. Dieser Posten wird noch deutlich steigen, auch wegen der hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen und der Zunahme prekärer Beschäftigung. Deshalb muss der Bund im Zuge der Gemeindefinanzreform die Kosten für die Grundsicherung im Alter schrittweise übernehmen. 2010 hatte Berlin gerade mal 14 Prozent getragen, dieses Jahr werden es 45 Prozent sein, nächstes Jahr drei Viertel, 2014 dann 100 Prozent.

Von 2014 an muss der Bund bezahlen

Trotz der gestiegenen Zahlen gibt es nach Ansicht von Stefan Spatz gegenwärtig in Stuttgart „kein signifikantes Problem von Altersarmut“. Im Vergleich mit anderen Großstädten liege man mit zehn Leistungsempfängern auf 1000 Einwohner in diesem Bereich auch deutlich unter dem Schnitt von gut 13. Und die Landeshauptstadt biete den Betroffenen mit seinen Begegnungsstätten, mit Beratungs- und Betreuungsangeboten vielfältige Hilfen.

Altersarmut künftig auch in Stuttgart zu fürchten

Auf die weitere Entwicklung aber müsse sich die Landeshauptstadt vorbereiten, sagt der stellvertretende Sozialamtsleiter. „Auch in Stuttgart ist in den nächsten zehn bis 20 Jahren eine Altersarmut zu befürchten“, so Stefan Spatz. Was zu tun ist, darüber wird bereits diskutiert. Ein Mittel, Genaueres über die sich abzeichnenden Verhältnisse zu erfahren, ist die laufende Umfrage unter Älteren, der sogenannte Alterssurvey, der sich auch mit der finanziellen Lage der Bürger über 50 befasst.

In der Dreiergruppe in der Begegnungsstätte Ostendstraße ist die Stimmung derweil heiter. Um die Finanzen geht es da nicht, hier spricht man über die Beschwernisse der Hausarbeit und darüber, dass die jüngste in der Runde, sie ist 75, bald zur Untersuchung „in die Röhre“ muss, was die Rentnerin etwas beunruhigt. Ihre 90-jährige Tischpartnerin winkt ab, alles halb so schlimm. „Wir haben das auch überlebt.“