Noch nie war die Zahl der hilfsbedürftigen Senioren in Stuttgart in den vergangenen zehn Jahren so hoch wie 2022. Was sind die Gründe? Die Caritas spricht von einer „fatalen Entwicklung“.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Immer mehr Senioren in Stuttgart haben kein Geld mehr für das Nötigste, sie können von ihrer Rente nicht leben – und sind auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Noch nie war die Zahl der Empfänger in den vergangenen zehn Jahren so hoch wie zum Ende des Jahres 2022: Insgesamt 8574 Menschen waren auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen, wie Zahlen des Stuttgarter Sozialamts zeigen, die unserer Zeitung vorliegen. Das sind 690 mehr als im Vorjahr (7884) – es ist der stärkste Anstieg seit 2012.

 

Auch bei den Hilfen zum Lebensunterhalt ist die Anzahl der Bezieher in Stuttgart im vergangenen Jahr deutlich gestiegen: Von 430 im Jahr 2021 auf 683. Die Stadt erklärt sich den Anstieg vor allem damit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine seit dem 1. Juni des vergangenen Jahres Anspruch auf diese Sozialhilfen haben.

Rentner können sich Mieten in Stuttgart nicht leisten

„Die Entwicklung ist fatal, wir blicken darauf mit allergrößter Sorge“, sagt Uwe Hardt, der Vorstand des Caritasverbands Stuttgart. Armut ziehe sich oft durch das ganze Leben: Wer als Kind in Armut aufwachse, drohe auch im Alter nicht mehr Geld für das Nötigste zur Verfügung zu haben. „Mit dem Rentenniveau können viele Menschen im Alter kaum ihre Miete bezahlen, geschweige denn am gesellschaftlichen Leben teilhaben“, beklagt Hardt. Aber auch viele Berufstätige könnten sich die hohen Mieten in Stuttgart kaum leisten: „Eine Familie, die Familienzuwachs bekommt, muss in der Regel Stuttgart verlassen“, sagt Hardt. In diesem Bereich müsse die Stadt mehr tun. „Stuttgart ist eine reiche Stadt, sie darf aber keine Stadt für Reiche bleiben.“

Die hohen Mieten sieht auch der Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano (Linke) als einen Hauptgrund für die Entwicklung in den vergangenen Jahren. „Selbst Menschen, die arbeiten, können sich diese Mieten nicht mehr leisten. Wir haben zu wenig Angebote für Menschen mit geringem Einkommen“, sagt er. Um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, fordert Pantisano, dass in der Landeshauptstadt künftig nur noch Wohnungen in öffentlicher Hand oder über Genossenschaften gebaut werden sollten. „Wir machen da zu wenig.“

Am meisten von Altersarmut betroffen sind Frauen

Die SPD in der Landeshauptstadt ist ebenfalls besorgt: „Diese Zahlen müssen uns nachdenklich machen“, sagt Jasmin Meergans, die Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat. Die Sozialdemokraten wollen vor allem im Bildungsbereich ansetzen, um eine drohende Altersarmut schon früh im Keim zu ersticken: „Damit möglichst kein junger Mensch verloren geht und alle in eine erfolgreiche Erwerbsbiografie mit anständig bezahlten Jobs starten können“, so Jasmin Meergans.

Die Grünen wollen das Thema in einer kommenden Ausschusssitzung besprechen und „uns vom Sozialamt und Jobcenter berichten lassen, um die Ursachen klären und dann mit entsprechenden Maßnahmen gezielt gegensteuern zu können“, sagt die Fraktionsvorsitzende Petra Rühle. Am meisten von Altersarmut betroffen seien laut der Caritas Frauen, besonders alleinerziehende. Oft arbeiteten sie im Niedriglohnsektor, weil sie sich nebenher um die Kinder kümmern müssten. „Geringfügige Beschäftigungen wiederum steigern die Gefahr, in die Altersarmut zu rutschen, weil die Rente bei Weitem nicht ausreicht“, sagt Hardt.„Eine unerträgliche Situation in einem reichen Land wie Deutschland.“

Auch in der Region steigt die Zahl der bedürftigen Rentner

Nicht nur direkt in Stuttgart, auch in der Region ist die Anzahl der bedürftigen Rentner deutlich gestiegen. Etwa im Landkreis Böblingen, wo im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen 3088 Menschen auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen waren – 393 mehr als im Vorjahr. Da waren es 2695.