Ganz normale Bürger sollten Vorschläge für die Altersabsicherung der Abgeordneten erarbeiten. Das Ergebnis ist lebensnah – und enthält eine Vision von mehr Gerechtigkeit.

Stuttgart - Das Bürgerforum zur Altersversorgung der Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag hat sich entschieden gegen eine Rückkehr zur Staatspension gewandt. Diese Entscheidung sei einstimmig gefallen, sagte der Moderator der Bürgerbeteiligung, Wolfgang Himmel. Zwei Dutzend zufällig ausgewählte Bürger aus allen vier Regierungsbezirken des Landes hatten sich über mehrere Wochen hinweg und in drei ganztägigen Veranstaltungen mit der Altersabsicherung der Abgeordneten beschäftigt. Das Votum geht an die von Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) eingesetzte Expertenkommission. Deren Vorsitzender Michael Hund versicherte, die Empfehlung des Bürgerforums werde sorgfältig geprüft.

 

Expertenkommission und Bürgerforum waren eine Reaktion auf eine der größten Blamagen in der Geschichte des Landtags: Im vergangenen Februar hatten die Fraktionen von Grünen, CDU und SPD in einer Nacht- und Nebelaktion ein Gesetz beschlossen, das den Abgeordneten einen Weg zurück zur Staatspension eröffnete. Diese war ein Jahrzehnt zuvor im Zuge der Parlamentsreform abgeschafft worden. Die Abgeordneten genehmigten sich stattdessen um ein Drittel erhöhte Diäten sowie einen Zusatzbetrag zur privaten Altersabsicherung. Dieser beträgt derzeit 1720 Euro und ermöglicht die maximale Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung. Die monatliche Diät liegt derzeit bei 7776 Euro. Dazu kommen noch zahlreiche weitere Pauschalen und Zahlungen in Form von Aufwandsentschädigungen und Funktionszulagen. Die Medienberichterstattung über den Pensionscoup Anfang 2017 führte zu öffentlichen Protesten, die Abgeordneten das Gesetz so eilig zurück wie sie es beschlossen hatten. Ein einmaliger Vorgang. Allerdings blieben die Verdoppelung der Mitarbeiterbudgets sowie die Erhöhung der steuerfreien Kostenpauschale um 40 Prozent in Kraft.

Leitbild „solidarische Bürgerversicherung“

Die Mitglieder des Bürgerforums begnügten sich nicht mit einem Vorschlag für die Altersversorgung der Abgeordneten. Als übergeordnetes Ziel nannten sie eine „solidarische Bürgerrentenversicherung“, in die alle Bürger einzahlen sollten; dies ohne Beitragsgrenze. Sie formulierten aber auch konkrete Vorstellungen für die Abgeordneten. Zwei Modelle schlugen sie vor: Nummer eins: Die Abgeordneten sollen ihre Altersabsicherung über ein Versorgungswerk abwickeln. Es gibt schon eins. Dieses wurde vom Landtag von Nordrhein-Westfalen initiiert, später trat Brandenburg bei. Der Gedanke ist also nicht neu, schon vor wenigen Jahren gab es unter der Ägide des damaligen Landtagspräsidenten Guido Wolf (CDU) Überlegungen der Baden-Württemberger, sich ihren Kollegen in Nordrhein-Westfalen anzuschließen. Sie erhofften sich davon eine höhere Rendite. Letztlich wurde das Thema aber fallen gelassen.

Modell Nummer zwei: Das Bürgerforum schlägt vor, dass die Abgeordneten einen Teil ihres Vorsorgebeitrag (in Höhe des aktuellen Höchstbetrags) in die gesetzliche Rentenversicherung einspeisen. Zusätzlich leisten sie Zahlungen in die Versorgungsanstalten des Bundes und der Länder (VBL), um damit gewissermaßen eine Betriebsrente zu generieren. Im Gegenzug soll der Zusatzbetrag zur Altersabsicherung von 1720 Euro auf 1850 bis 2000 Euro erhöht werden. Wem das noch nicht reicht fürs Alter, muss sich nach Ansicht des Bürgerforums aus den Diäten privat absichern.

Mittel gegen Politikverdrossenheit

Das Bürgerforum stellte auch klar, dass der Landtag eine eventuelle Änderung gründlich und vor allem für die Öffentlichkeit transparent beraten müsse. „Ein beschleunigtes Verfahren wird abgelehnt“, heißt es in dem Abschlussdokument. Die Mitglieder machten außerdem deutlich, dass Bürgerforen auch zu anderen Themen der Landespolitik beratend hinzugezogen werden sollte. Nach Angaben des Landtags handelt es sich bei dem Bürgerforum zur Altersversorgung der Abgeordneten bundesweit um ein Novum.

Landtagspräsidentin Aras sagte, es sei keineswegs selbstverständlich, dass sich die Bürger in ihrer Freizeit und Inkaufnahme zum Teil langer Anfahrtswege „einer solch schwierigen und komplexen Fragestellung widmen“. Sie hoffe, dass diese Form der Einbindung der Bürger bei der Klärung gesellschaftlich umstrittener Themen Schule mache. Ein Mitglied des Bürgerforums sagte: „Das ist ein klitzekleiner Schritt, die Bürger wieder einzubeziehen.“ Ein anderes Mitglied sieht in solchen Bürgerforen ein „Mittel gegen Politikverdrossenheit“.