Altes Rathaus in Sillenbuch 84-jähriger Künstler bleibt auf der Strecke

Wilfried Welch weiß nicht, wie es für ihn und sein Atelier weitergeht. Foto: Caroline Holowiecki

Die Misere um das alte Rathaus in Sillenbuch hält an. Während die kleine Mosterei eine Räumung abwenden konnte, befinden sich Kunstschaffenden im Auszug. Zurück bleiben viele Verlierer – und die Frage, inwiefern all der Ärger wirklich nötig gewesen ist.

Selbst mit Krücken fällt Wilfried Welch das Gehen schwer. Mühsam humpelt er über die Tuttlinger Straße in Sillenbuch. „Durch die Räumerei habe ich einen Muskelriss gekriegt“, sagt der 84-Jährige und blickt auf die grüne Holztür, hinter der sich sein Atelier befindet. Im alten Rathaus im historischen Ortskern hat der Künstler mehrere Räume angemietet, um sich dort seinen Grafikarbeiten, Plastiken, seiner Malerei und mehr zu widmen. „Seit 1972“, betont er. Das alles soll nun vorbei sein. Wilfried Welch muss raus. „Ich weiß gar nicht, wie es weitergeht“, sagt er.

 

Der Verband Bildender Künstler hat gekündigt

Wilfried Welch gehört zu jenen Nutzern des mehr als 100 Jahre alten Kulturdenkmals, denen schon vor Monaten eine sofortige Nutzungsuntersagung förmlich zugestellt wurde. Beziehungsweise: Nicht der Kunstschaffende aus Denkendorf selbst hat den Schrieb des Liegenschaftsamts erhalten, sondern der Verband Bildender Künstler und Künstlerinnen Baden-Württemberg (VBKW), dessen Untermieter er und zwei weitere Künstlerinnen sind.

Ebenfalls betroffen war Andreas Seeger, der im Haus eine Mosterei betreibt. Er erhielt direkt die fristlose Kündigung. Die Elektroinstallation entspreche nicht mehr aktuellen Sicherheitsvorschriften. Es gehe um eine Gefahrenabwendung. Während sich Andreas Seeger an die Öffentlichkeit gewandt und gegen die Verfügung der Stadt gewehrt hat, hat der VBKW seinerseits gekündigt. „Um die Mietzahlungen zu stoppen“, erklärt Jutta Stoerl Strienz, die Vorsitzende. Man habe das Haus ja ohnehin nicht betreten dürfen. „Was soll ich machen, wenn womöglich das Haus in die Luft fliegt?“ Bei Zuwiderhandlung habe die Stadt weitere Schritte angedroht. „Ich bin deren Androhung zuvorgekommen“, betont sie.

Andreas Seeger hat selbst einen Elektriker beauftragt

Beides hat jedoch zu unterschiedlichen Szenarien geführt. Andreas Seeger berichtet, er habe sich mit dem Liegenschaftsamt darauf geeinigt, selbst einen Elektriker zu beauftragen. „Das ist noch am Laufen“, sagt er. Mit der diesjährigen Obstsaison werde es zwar knapp, dennoch wirkt er erleichtert, dass die traditionsreiche Kelter samt Brennerei bleiben darf. Und auch aus dem Rathaus hört sich alles gar nicht mehr so dramatisch an. „Der Vorgang ist unglücklich verlaufen. Im Dialog mit dem Mieter konnte sich über die Fortführung des Mietverhältnisses verständigt werden, die Kündigung wurde zurückgezogen“, heißt es aus dem Fachamt. Üblicherweise gehe die Stadt vor einer Kündigung zunächst mit den betroffenen Mietparteien in den Dialog, wird eingeräumt. Die Frage, ob der gesamte Vorgang rund ums Gebäude im Nachhinein übereilt gewesen sei, beantwortet eine Sprecherin weiter, indem sie klarstellt, dass der VBKW von sich aus gekündigt habe, nachdem die Nutzung der Räume untersagt worden sei. „Auch dem Künstlerverein wurde unter Abwägung von Sicherheitsaspekten eine verlängerte Räumungsfrist bis Ende September 2024 gewährt.“

Wilfried Welch räumt indes weiter. Und ist entsprechend verstimmt. Seine Räume habe er stets in Ordnung gehalten und viel Geld investiert. „Ich bin da völlig unverschuldet reingekommen.“ Enttäuscht sei er vom VBKW, der alles „klaglos akzeptiert hat, ohne Rücksprache“. Mittlerweile hat er seine Mitgliedschaft gekündigt. Jutta Stoerl Strienz wiederum kränkt das. Sie habe sich bei der Stadt für angemessene Räumfristen eingesetzt und den Künstlern über Monate den Rücken freigehalten. „Es wurde überhaupt nicht klaglos akzeptiert. Sonst wäre am 9. Februar das Schloss ausgetauscht worden.“ Geld, die Elektrik herstellen zu lassen, hätte der VBKW ohnehin nicht, auch wäre es ein „eklatanter Verstoß gegen die Vereinssatzung“, einzelne Künstler derart zu begünstigen.

Fotos zeigen abenteuerliche Installationen und uralte Rohre

Verlierer in der ganzen Misere sind auch die Kunstszene – laut Jutta Stoerl Strienz war dies „das letzte Atelierhaus unter unserer Verwaltung“ – sowie der Stadtbezirk. Wilfried Welch sagt, er habe im Erdgeschoss einen Kulturtreff mit offenem Atelier einrichten wollen und dafür extra renoviert, auch Kurse und Vorträge hätten stattfinden sollen. Dass alles nun geplatzt ist, daran gibt er auch der Stadt eine Teilschuld. Keiner habe sich um die Elektrik gekümmert, „das ist nie vorgekommen“, betont er und legt wie zum Beweis Fotos vor, die kaputte Wände, abenteuerlich anmutende Installationen und uralte Rohre zeigen. Der Zustand des Hauses sei schlecht, „es zerfällt“. Ähnlich hat sich Andreas Seeger bereits gegenüber unserer Zeitung geäußert.

Wilfried Welch will seinen Auszug bald abschließen. „Ich sitze auf der Straße“, sagt er. Sein Material werde er einlagern, manches habe er wegwerfen müssen. Er gibt sich kämpferisch, werde weiterarbeiten, egal wo. Laut der Stadt ist es die Aufgabe des VBKW, die Räumung mit den Untermietern zu koordinieren. Zwei von drei haben noch Dinge im Haus. Die Abschlagszahlungen laufen derweil weiter. „Ich bin in einer fürchterlichen Situation“, klagt Jutta Stoerl Strienz.

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