Altes Schauspielhaus Dieses Lustspiel ist kein alter Hut

Dorfrichter Adam (Mitte, Andreas Klaue) bringt Eve (Marie Schröder) in Bedrängnis. Foto: Tobias Metz

Im Alten Schauspielhaus ist Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ über Macht und deren Missbrauch zu sehen – und wirkt dabei verblüffend modern.

Ein wahrhaft sprechendes Bühnenbild hat sich Leif-Erik Heine für Heinrich von Kleists berühmte Komödie „Der zerbrochne Krug“ im Alten Schauspielhaus ausgedacht. Da steht ein massiver Richtertisch, doch daneben liegen Heuballen herum. Damit wird erst einmal tiefste Provinz in Szene gesetzt, das Stück spielt in einem niederländischen Dorf des 18. Jahrhunderts. Hinter dem Gerichtstisch aber ragen schräge Holzlatten in die Luft, und unter der Decke hängen gänzlich verquer ein Fenster und ein Stuhl. Und durch den Richtertisch geht ein mächtiger Spalt. Hier stimmt etwas nicht, schreit das Bühnenbild, die normale Ordnung der Dinge funktioniert nicht mehr. Der Dorfrichter Adam schläft in einem Bett mit zwei Türen direkt unter seinem Richtertisch, eine geradezu kafkaeske Idee Heines (Bühne und naturalistisch-historische Kostüme).

 

Der Dorfrichter als peinliche Figur

Eine peinliche Figur ist der Dorfrichter. Dass seine Weste falsch geknöpft ist, ist noch das Wenigste. Sein Schädel präsentiert zwei blutige Wunden, und die Perücke, die seine Würde als Justizperson unterstreichen soll, ist verschwunden. Eine Katze habe in ihr gejungt, behauptet Adam. Die Perücke fungiert später als wichtiges Beweisstück. Frau Marthe Rull (sehr bestimmt und temperamentvoll: Stefanie Klimkait) beklagt einen zerbrochenen Krug, der durch eine Bemalung mit historischen Szenen sehr wertvoll ist. Der Krug ging zu Bruch, als Ruprecht (dauerwütend: Denis Riffel) Marthes Tochter Eve (Marie Schröder), seine Verlobte, besuchte. Ruprecht aber bestreitet, den Krug zerstört zu haben, das habe ein gleichzeitig anwesender Zweit-Liebhaber Eves getan. Schon nach zwanzig Minuten wird dem Zuschauer klar, wer das war: Richter Adam. Doch nun hebt eine irrwitzige Handlung an, in der Adam seine Schuld zu verdecken sucht. Er ist damit wie Ödipus in der schaurigen Situation, herausfinden zu müssen, dass er selbst der Schuldige ist. Anders als Ödipus weiß Adam das von Anfang an. Kleist lässt die Gerichtsverhandlung höchst spannend und unterhaltsam mit diversen überraschenden Wendungen zum Ziel gelangen. Der Zuschauer kennt den Täter und schaut genüsslich zu, wie dieser zur Strecke gebracht wird.

Am Anfang steht Adam gewaltig unter Druck, denn beim Dorfgericht erscheint der Gerichtsrat Walter (kühl-souverän: Antonio Lallo), um zu überprüfen, ob neben den Heuballen ordentlich Recht gesprochen wird. Das absolute Gegenteil ist der Fall. Der perückenlose Dorfrichter ist schlichtweg befangen, beschimpft er doch Zeugen als Schwätzer und „Hund“ oder flüstert manipulativ auf Eve ein. Auch die Verhandlung gerät absurd, denn der Kontrolleur Walter greift ständig ein. Andreas Klaue spielt den nicht studierten Richter (das gab es in den Niederlanden damals wirklich) einleuchtend mit kräftiger Stimme und scheinbar in sich ruhend, aber doch unsicher und angeschlagen. Ausdrucksstark gerät sein wechselndes Mienenspiel, fast wie ein Pantomime wirkt er da.

Kleists Stück wurde 1808 durch Goethe uraufgeführt und floppte, wofür der Autor Goethe verantwortlich machte. Heute aber zeigt es sich überraschend gegenwartsnah. Der Dorfrichter Adam behauptet gegenüber Eve fälschlich, er könne Ruprecht ein Attest besorgen, damit dieser vom gefährlichen Wehrdienst in den niederländischen Kolonien freigestellt würde. Dafür verlangt Adam von Eve erotische Gegenleistungen, ein typischer MeToo-Fall. Überhaupt geht es in diesem Mikrokosmos um Macht und deren Missbrauch, um Recht und Rechtsbeugung, aktuelle Fehlentwicklungen in autokratischen politischen Systemen der Gegenwart.

Was für eine Sprache!

„Der zerbrochne Krug“ ist eher eine Groteske als ein Lustspiel (man lacht nicht so oft) und in seiner Absurdität ganz modern. Und was für eine Sprache! Klar und eindeutig, dazu bildhaft-drastisch. „Sag ihm, dass du kein Braten für ihn bist“, beschwört Ruprecht, der einen Nebenbuhler befürchtet, seine Verlobte Eve. Marie Schröder als Eve schweigt meistens, aber scheint fast zu explodieren, was sie am Schluss auch tut. Ulrich Wiggers hat das alles solide und gut nachvollziehbar inszeniert, er setzt auf Kleists prägnante, sinnliche Sprache und ein einleuchtend agierendes Ensemble.

Der zerbrochne Krug: Altes Schauspielhaus, Vorstellungen bis 6. Dezember.

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