Altes Schauspielhaus Stuttgart Wie gut sind Helmut Zierl und Lisa Wildmann als Vater und Tochter in „Blind“?

Lisa Wildmann und Helmut Zierl in „Blind“ Foto: Schauspielbühnen/Martin Sigmund

Saisonstart mit Star: Im Zweipersonenstück „Blind“ trifft am Alten Schauspielhaus in Stuttgart TV- und Theater-Legende Helmut Zierl auf die Stuttgarter Schauspielerin Lisa Wildmann.

Ganz nah am Publikum ist das vor zwei Jahren uraufgeführte Zweipersonenstück „Blind“ von Lot Vekemans, denn dessen Grundkonstellation haben gewiss einige der Zuschauer bereits leibhaftig erlebt und erlitten. Eltern passt es nicht, wie sich Tochter oder Sohn entwickelt haben, mit falschem Beruf, falschem Partner oder politisch-gesellschaftlichen Ansichten, die Mama und Papa nicht passen. Die viel gespielte und preisgekrönte niederländische Autorin lässt eine Tochter und ihren Vater mit Macht aufeinander prallen.

 

Das Stück „Blind“ ist beklemmend kalt

Helen, eine sozial engagierte Anwältin, besucht voller Widerwillen ihren Vater Richard, einen früheren Wasserwirtschaftsingenieur. Der betuchte Vater lebt in Südafrika in einer Gated Community mit bewaffnetem Wachpersonal. Dort sitzt er mit Hemd über der Hose und Hausschlappen in einem Designersessel neben einem schicken Eileen-Gray-Glastischlein (Ausstattung: Vesna Hiltmann). Dahinter ragt eine schicke Wand mit einer Gitterstruktur aus Quadraten auf.

Helen, vom Vater mit „Püppchen“ angesprochen, lässt schon nach zwei Minuten Anwesenheit in Papas Abschottungsbehausung einen Vorwurf los, Richards erster Vorwurf folgt drei Minuten später. Beklemmend kalt ist die Atmosphäre zwischen den beiden. Richard hat einen Tumor im Kopf, droht zu erblinden und bittet seine Tochter, für ihn zu sorgen. Sie lehnt das rundweg ab. Ein neunzig Minuten dauernder Clinch von Tochter und Vater hebt an. Der Grundkonflikt wird rasch deutlich. Richard ist ein knackiger Pragmatiker, leistungsorientiert, kapitalismusnah und rundweg sozialdarwinistisch ausgerichtet. „Wo der eine profitiert, muss der andere etwas abtreten“, so lautet sein Credo. Helen setzt die Utopie einer solidarischen Gesellschaft dagegen, in der Chancengleichheit herrschen müsse und niemand zum Beispiel für seine ethnische Herkunft oder sein Geschlecht diskriminiert werden dürfe.

Ideologische Gegensätze zwischen Vater und Tochter

Helen glaubt an Ideale, ihr Vater hält alle Menschen schlichtweg für Egoisten. Seine Tochter stellt fest, dass ihr Vater alles ablehnt, wofür sie steht. Auch Helens farbiger Ehemann passt dem Vater nicht. Fundamentale ideologische Gegensätze sind nicht auflösbar, entsprechende Dispute daher sinnlos.

Das könnte eine höchst aktuell-gegenwartsnahe Botschaft dieses Stücks sein. Vekemans hat den massiven Gegensatz von Tochter und Vater in souverän formulierte Sätze gekleidet. Ihr Stück handelt auch von scheiternder Kommunikation. „Ich versteh dich nicht“, sagt der Vater. „Ich versteht dich auch nicht“, entgegnet Helen. Zu erleben ist der Zusammenbruch von Verständigung.

„Blind“ zeigt Beispiele für Kommunikationsstörungen

Ein Kommunikationswissenschaftler könnte die Dialoge des Stücks mit seinen Studenten als charakteristische Beispiele für Kommunikationsstörungen analysieren. Richard versetzt Helen verbal einen Schlag mit dem Hammer: „Ich hab nun mal meistens recht.“ Beinahe selbstkritisch klingt dann schon diese Einlassung des Vaters: „Ich kann nie die richtigen Worte finden.“ Auch auf der Gefühlsebene kommen Vater und Tochter nicht zusammen. Der Vater bettelt um die Liebe seiner Tochter, die ihn sehr kalt auflaufen lässt.

Karin Eppler (Regie) hat das sperrige Verhältnis der beiden sorgfältig inszeniert, bis in sprechende Details der Personenführung. Richard geht auf seine Tochter zu: „Ich bin froh, dass du da bist“ – sie weicht sofort zurück. Lisa Wildmann gibt Helen als sehr kalte, strenge, von der eigenen Richtigkeit in der Welt Überzeugte. Eigentlich ist ihr Vater der Unsympath, doch Helmut Zierl spielt ihn sehr berührend als einen Vater, der die Nähe seiner Tochter sucht. Man hat bisweilen Mitleid mit ihm.

Helmut Zierl feiert Bühnenjubiläum

Bewegend gerät eine Szene, die damit beginnt, dass die Tochter den vielleicht schon etwas verkommenden Vater anblafft: „Du stinkst.“ Und dann wäscht sie ihn. Es gibt gegen Ende noch Hoffnung für die traurige Ineinanderverhakung von Vater und Tochter. Da wird das Stück ganz leise, läuft aus ins Offene. Der sehr genau und sensibel agierende Helmut Zierl konnte am Abend der Premiere übrigens sein fünfzigstes Bühnenjubiläum feiern.

Blind. Weitere Aufführungen im Alten Schauspielhaus Stuttgart bis zum 25. Oktober. Infos und Tickets gibt es hier.

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