Seit der offiziellen Freigabe der „Pokémon Go App“ hat der Monsterwahn ganz Deutschland gepackt. Auch in Leonberg und Umgebung wimmelt es nur so vor den bunten Tierchen und ihren potenziellen Jägern.

Altkreis - Auch wenn es nicht so scheint, so hat sich die kleine Stadt Rutesheim in der vergangenen Woche ganz schön verändert. Man sieht es vielleicht nicht sofort, doch je näher man der Johanneskirche oder auch dem Sportplatz kommt, umso größer werden die rot-weißen Arenen, die seit Neuestem das Stadtbild prägen. Auch wenn diese neuen Bauten noch nie „wirklich“ gesichtet wurden – diejenigen, die ihr Smartphone gezückt halten und stolze Besitzer der „Pokémon Go App“ sind, können die großen Gebäude kaum verfehlen. Es handelt sich um virtuelle Arenen, die seit dem Erscheinen der Handy-Applikation überall auf der Welt verteilt sind. Sie dienen den Spielern als Treffpunkte, an denen sie ihre kleinen Monster, die sie zuvor gesammelt haben, gegeneinander antreten lassen können.

 

Auch in Leonberg ist der Pokémon-Wahn voll und ganz angekommen. Leonberger Monsterbegeisterte finden ihre diversen Kampfschauplätze am Bahnhof, an den Schulen oder auch am Marktplatz. Das Spiel scheint bis in jedes noch so kleine Örtchen vorgedrungen zu sein. Die 16-jährige Laura aus Merklingen erzählt, sie würde sich mit ihren Freunden am Pfarramt in Weil der Stadt oder an der Zaubermühle treffen, um gegen fremde Pokémon zu kämpfen.

Monstermarathon

Jedoch müssen die Fantasie-Tierchen erst gefunden werden. Die App zeigt dem Benutzer hierfür eine Karte seiner Umgebung an und markiert ihm die Orte, an denen Pokémon zu finden sind. Wer eins sichtet, wirft einfach einen virtuellen „Pokéball“ und fängt sich das kleine Etwas kurzerhand ein. Ziel ist es, möglichst viele, aber auch möglichst seltene Pokémon zu ergattern. So hält sich die Begeisterung bei den erfahrenen Spielern eher in Grenzen, wenn vor ihrer Nase ein „Hornliu“ oder „Rattfratz“ auftaucht. Das bekannte „Pikachu“ oder gar ein „Bisaflor“ rufen da dann doch größere Freudenreaktionen hervor.

Genauso freute sich auch Laura, als sie ein „Nidorino“ fing, das bis jetzt ihr bestes Pokémon ist. Sie sei zwar „erst“ in Level sieben, kenne jedoch andere Jugendliche, die sich schon die Füße wundgelaufen hätten, um Level 20 oder gar 30 zu erreichen.

Denn obwohl es sich um ein Spiel auf dem Handy handelt, müssen die ambitionierten Pokémon-Fänger wahre Langstreckenläufer werden, um möglichst hohe Ränge zu erreichen. In ihrem Spieleifer vergessen manche, dass die Realität sich doch um einiges von der virtuellen Handywelt unterscheidet. „Einmal wollte ich ein Pokémon einfangen und habe gar nicht gemerkt, dass ich plötzlich in einem fremden Garten stand“, gibt Laura schmunzelnd zu.

Der Besitzer des Porsche Cayenne, der in der Nacht zum Samstag gestohlen wurde (wir berichteten), steht der App mit eher gemischten Gefühlen gegenüber. Denn weil vor seinem Haus bis in die Nacht hinein Pokémonjäger unterwegs waren, dachte er sich nichts dabei, als sein Hund mitten in der Nacht Alarm schlug und ihn auf den mutmaßlichen Täter aufmerksam machen wollte.

Ein nasses Vergnügen

Weil die unzähligen Arten der Fantasiewesen an ihren Lebensraum angepasst sind, findet man Wasserpokémon oft nur an Gewässern wie Seen oder Meeren. Da bleibt natürlich die Frage, wo die Rutesheimer oder Leonberger die dann überhaupt hernehmen sollen. An Flüssen scheinen sich die wasserliebenden Monster nämlich ganz wohl zu fühlen. Die Frage, ob sich die bunten Tierchen dann an der Glems tummeln, würden die Jugendlichen wahrscheinlich bejahen. „Aber so genau nehmen es die Macher des Spiels dann auch nicht“, sagt der 18-jährige Philipp aus Hausen und lacht. Er hätte an der Würm zwar schon einige Wassertierchen gefangen, fände diese aber auch an ganz anderen Orten, wie beispielsweise in seinem eigenen Bett.

Diese kleine Fehlkonstruktion der App hat aber auch ihre Vorteile: Während der Suche eines seltenes Wassermonsters stieß eine junge Frau aus Wyoming (USA) auf eine im Fluss treibende Wasserleiche. Da kann Philipp froh sein, dass er seine Wasserpokémon auch in den eigenen vier Wänden fangen kann. Doch der Fund in Wyoming ist nicht der einzige skurrile Vorfall, den die App bislang verursacht hat.

Ein anderer Pokémonfan aus den USA fand bei seiner nächtlichen Suche statt eines virtuellen Monsters eine echte lebende Kuh. Das Tier war einem Bauer entlaufen und lag verängstigt am Straßenrand. Der Spieler reagierte trotz der spannenden Pokémonjagd, in der er sich doch eigentlich befand, vorbildlich und rief die Polizei, die den Besitzer der Kuh auffindig machen konnte.

Auch am Gymnasium Rutesheim scheint sich die App wie ein Lauffeuer verbreitet zu haben. Nach Angaben der Schulleitung rennen die meisten Schüler mit dem Handy in der Hand herum und versuchen dabei, eines der bunten Monster einzufangen. Und das, obwohl in der Bildungsanstalt eigentlich ein striktes Handyverbot herrscht. Doch die Freude am Jagen bringt so manch einen dazu, die Schulregeln zu brechen. Wie gut, denken sich die Lehrer, dass nun bald die Sommerferien beginnen und die Pokémon von jetzt an im Freibad oder im Sommerurlaub gejagt werden.