Man nennt ihn den „Toulouse-Lautrec von Stuttgart“: Jetzt sagt Jürgen Leippert der Malerei Lebewohl. In seinem Atelier feiert er Schlussverkauf. Ein Abschied, der unter die Haut geht.
Das Wichtigste sagt er gleich vorneweg: „Ich rauche und saufe nicht mehr.“ Von einem Tag auf den anderen habe er damit aufgehört, berichtet Jürgen Leippert. Sonst, hätten die Ärzte gewarnt, sei es bald vorbei mit ihm. Überraschenderweise sei ihm das Aufhören gar nicht schwergefallen.
Keine Zigaretten, kein Alkohol mehr – die Aufzählung kann er nun fortführen: Der 81-Jährige malt auch nicht mehr. Und dies fällt ihm am allerschwersten. Erkrankungen haben ihn gestoppt, nicht die Ideen. Zwei Schlaganfälle, eine neue Hüfte, schließlich der Umzug ins betreute Wohnen mit seiner Lebensgefährtin. Schmerzen, Beschwernisse des Alltags, das Überleben wird zum Kampf.
Von der Halbwelt auf die Halbhöhe
Der Schlussverkauf seiner Bilder im Atelierhaus Schellenkönig, sein letztes Refugium mit der Staffelei, bildet nun das große Finale. Ein Abschied mit Wehmut, aber doch auch mit einem Lächeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass so viele kommen“, sagt Leippert. Viele alte Freunde feiern ihn am letzten Tag im Atelier, wie etwa der Autor Bernd Fischle – und viele Bilder werden verkauft.
2017 war er von der Halbwelt in der Altstadt mit seinem Atelier (dort musste er raus, der Vermieter hatte anderes vor mit den Räumen) auf die Halbhöhe beim Bubenbad gezogen. Das Leben hat Spuren hinterlassen. Jetzt fehlt ihm die Kraft zum Malen.
Die verbliebenen Werke werden nun eingelagert, einige können noch erworben werden. Doch das tägliche Arbeiten an der Leinwand, das Ringen mit Licht und Schatten – all das fehlt ihm. „Es ist schwer, nicht mehr malen zu können“, sagt er. „Das hat mein Leben ausgemacht. Und was hab ich jetzt noch?“
Leippert malte das Leben – mit all seinen Farben, Narben, Schatten
Geboren 1944 in Bad Cannstatt, lernte Leippert in Berlin bei Alfred Lehmann, der ihn früh warnte: „Wenn Sie Maler werden wollen, müssen Sie bereit sein, zur Not den Kitt aus den Fenstern zu essen.“ Der junge Mann war bereit. Über sechs Jahrzehnte lang hat er gezeichnet, gemalt, übermalt – Farbschicht über Farbschicht, bis seine Werke fast reliefartig aus der Leinwand traten.
Seine Kunst war nie schön im glatten Sinne. Leippert, der dem expressiven Realismus zugeordnet wird, malte das Leben – mit all seinen Falten, Narben und Schatten. Die Gesichter seiner Porträts erzählen Geschichten, die man zu hören meint, wenn man sie lange genug ansieht.
Stuttgarts Altstadt nannte er „50 traurige Meter“
Über Jahrzehnte war der Altstadtmaler ein Lebemann, ein Beobachter der Nacht. Im Café Brenner oder auf den Straßen der Leonhardsstraße hielt er das Rotlicht, die Melancholie, den Verfall fest. Alle kannten ihn. „50 traurige Meter“, so hat er die Altstadt genannt.
Auch die Ferne hat ihn geprägt. Nach New York ist er in jungen Jahren gezogen, studierte das Leben in den Häuserschluchten. „Ich habe das Licht dieser Stadt inhaliert“, sagt er. Doch irgendwann kehrte er zurück in den Kessel, dorthin, wo seine Bilder Wurzeln schlugen.
Dass die Stadt nun alle Bordelle aus der Altstadt verbannen will – was sagt er dazu? „Das interessiert ihn nicht mehr“, sagt seine Lebensgefährtin. Seine Staffelei steht leer, jetzt leuchten die Farben in seinem Kopf. „Alles in allem“, sagt Jürgen Leippert, „hat es das Leben gut mit mir gemeint.“
Ein Satz voller Milde, gesprochen von einem Mann, der die Welt in all ihren Kontrasten gesehen, gefühlt und auf die Leinwand gebracht hat. Nur wer die Schwachen gesehen hat, durchschaut die Welt.