Alvar Freude arbeitet mit Ansgar Heveling in der Internetenquête des Bundestags. Über dessen pauschale Netzkritik staunt Freude noch immer.
Stuttgart - Ein internetkritischer Beitrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Ansgar Heveling im Handelsblatt hat am Montag für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. In der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestags arbeitet der Stuttgarter Alvar Freude als Sachverständiger an Handlungsempfehlungen für die Politik mit. Auch Heveling ist Mitglied dieser Kommission. Über dessen Äußerungen kann Freude nur staunen.
Herr Freude, was war Ihr erster Gedanke, als Sie den Gastbeitrag von Ansgar Heveling im Handelsblatt gelesen haben?
Jetzt ist er vollkommen durchgeknallt! Und: die Guten haben auf lange Sicht immer gesiegt. Das habe ich gedacht.
Sein Kommentar ist, vorsichtig ausgedrückt, ausgesprochen netzkritisch. Sie beide kennen sich aus der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Hat Sie der Beitrag in Ton und Inhalt überrascht?
Inhaltlich hat mich das wenig überrascht. Heveling gehört zu denjenigen, die sich keine Gedanken darüber machen, welche Art von Urheberrecht wir in der digitalen Gesellschaft brauchen, sondern zu denjenigen, die das bisherige Urheberrecht möglichst streng durchsetzen wollen. Dass er das Leben in der digitalen Welt als Modeerscheinung sieht, passt. Aber der Tonfall hat mich doch überrascht. Natürlich weiß er, welche Reaktionen es hervorruft, wenn man Unfug wie "das Web 2.0 wird bald Geschichte sein" von sich gibt.
Heveling spricht vom "Kampf zwischen der schönen neuen digitalen Welt und dem realen Leben". Was könnte er damit meinen?
Koservative wie Heveling sind empfänglich für die Klagen der Unterhaltungsindustrie, dass Umsätze durchs Internet massiv zurückgehen. Er spricht ja auch direkt die Urheberrechtsdiskussion an. Aber es geht um mehr. Er kritisiert das Web 2.0, das Mitmach-Internet, das nach Beteiligung und Transparenz ruft.
Ist Hevelings Auffassung ihrer Erfahrung nach exotisch oder doch eher verbreitet?
In der Enquête-Kommission vertritt er damit eine Minderheit.
Über Heveling ist am Montagnachmittag ein Shitstorm im Netz ausgebrochen. War das angemessen oder eher kindisch?
Im Wesentlichen war das alles friedlich. Man hat sich über ihn lustig gemacht - und das ist bei solchen Aussagen auch abzusehen. Das Internet ist eben vor allem ein Kommunikationswerkzeug, seine Aussagen haben die Reaktionen provoziert.
Von außen betrachtet scheint es schwer zu sein, in der Enquête-Kommission auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Insgesamt läuft es deutlich besser, als es nach außen hin scheint. Leider ist es aber so, dass die Koalition mehr und mehr versucht, ihre eigene von der Fraktion beschlossene Meinung durchzusetzen, das führt manchmal zu surrealen Diskussionen und das Ringen um einzelne Wörter.
Was sind die kritischsten Punkte?
Wir kommen immer wieder zur Frage, ob es der Markt alleine schafft oder ob die Politik Regeln vorgeben soll. Das ist bei der Netzneutralität ein großer Dissens zwischen Abgeordneten und Sachverständigen der Koalition und der Opposition gewesen. Bei der Frage der Netzsicherheit wird Änliches auch wieder auftauchen.
Es gibt auch kritische Stimmen zur Rolle der Sachverständigen wie Ihnen. Bis hin zu Rücktrittsforderungen.
Bei einem Rücktritt würde ich das Feld den anderen überlassen und diejenigen bestrafen, die mich gut behandelt haben. In der SPD-Fraktion werde ich wie jeder Abgeordnete behandelt, mit vollem Rederecht. Und wenn ich eine andere Meinung vertrete als die Fraktion, bekomme ich keinen Druck.
Alvar Freude: Engagierter Netzaktivist
Aktivist Der in Stuttgart lebende Kommunikationsdesigner Alvar Freude ist Mitbegründer des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur. In Deutschland werden Internetsperren nicht angewandt.
Sachverständiger Im Mai 2010 ist Freude von der SPD-Fraktion in die Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestags als Sachverständiger berufen worden.
Heveling zeigt keine Einsicht
Er will nach eigener Darstellung bloß nüchtern über den Umgang mit geistigem Eigentum disikutieren: Der Krefelder Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling (CDU) fühlt sich von Kritikern missverstanden, die ihm die Netz-Kompetenz absprechen wollen. „Wenn wir das jetzt für einen Diskurs dafür nutzen, dann hat das einen Sinn, weil man dann die Diskussion auf die Sachebene führen kann“, sagte Heveling am Dienstag.
Heveling hatte zuvor in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ den Kulturkampf zwischen der digitalen Welt und dem „realen Leben“ beschworen. Das sogenannte Mitmach-Netz, zu dem soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zählen, stehe kurz vor dem Ende. Es stelle sich nur noch die Frage, wie viel „digitales Blut“ vergossen werde. Der 39-Jährige erntete Spott. Kritik kam auch aus seiner Fraktion.
Heveling will Versachlichung
„Heveling zeigt, dass große Teile der Regierung in völligem Unverständnis der heutigen Gesellschaft leben“, hielt ihm etwa der Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland, Sebastian Nerz, entgegen. Er riet Heveling, „sich einmal mit den technologischen Entwicklungen seit 1960 zu beschäftigen“. Aus „pädagogischen Gründen“ solle er „am Besten mit dem Farbfernsehen“ beginnen.
Empörte Nutzer forderten gar: „Der kleine Ansgar möchte aus dem Internet abgeholt werden.“ Einige hackten sich überdies in Hevelings Internetseite, für die sie Gerüchten zufolge lediglich den Namen des Politikers als Zugangsdaten eingeben mussten. Dieser kündigte am Montagabend daraufhin im Netz - vermeintlich - seinen Rücktritt an. Am Dienstag sah die Seite jedoch wieder aus wie immer.
Heveling sagte, sein Gastbeitrag sei „durchaus eine provokante Streitschrift“ gewesen. Er selbst wolle sich letztlich vor allem für den Schutz des geistigen Eigentums im Netz engagieren, werde aber bisweilen angegriffen: Kritischen Positionen begegneten Netz-Nutzer häufig mit Aggression. Er habe mit seinem Beitrag versucht, solchen Nutzern den Spiegel vorzuhalten. Ihm gehe es um eine Versachlichung.
Fraktionskollegin fordert Perspektivwechsel
Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Altmaier, rief die aufgebrachte Netzgemeinde zur Gelassenheit auf. „(Fast) jede Debatte übers Netz ist besser als keine!“, notierte Altmaier in einer eigenen Kurznachricht bei Twitter. Widerspruch kam hingegen von der CSU-Abgeordneten Dagmar Wöhrl. Auf ihrer Internetseite mahnte sie, grade Politiker seien gefordert, Brücken zur digitalen Welt zu bauen.
Ohne Heveling zu benennen, ermunterte sie „internetkritische Politiker und Zeitgenossen“, sich mit „unvoreingenommener Neugier diesem Themenkomplex“ anzunehmen und zu versuchen, politische Fragen „auch aus der Perspektive der Netzgemeinde“ zu betrachten. Sie sagte allerdings auch, die heftige Reaktion der Netz-Nutzer trage wiederum „nicht zum gegenseitigen Verständnis“ bei.
Für weiteren Unmut in der Netzgemeinde sorgte unterdessen, dass Heveling ausgerechnet Mitglied der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages ist. Erst Mitte Januar diskutierte eine Arbeitsgruppe der Kommission, wie Bürger durch das Netz stärker in demokratische Prozesse einbezogen werden können. dapd