In der Medizin darf man sich nicht gleich mit dem ersten positiven Ergebnis zufrieden geben. Deshalb haben gleich vier Forscherteams einen vielversprechenden Ansatz für eine Alzheimer-Therapie überprüft – ohne Erfolg. Doch die Kritisierten wehren sich.

Stuttgart - Den Pharmakonzernen wird immer wieder vorgeworfen, sie würden die Ergebnisse ihrer klinischen Studien selektiv veröffentlichen: Die Tests, in denen ihre Medikamente nicht so gut abschneiden, behalten sie gerne für sich. Die Fachzeitschrift „British Medical Journal“ und ein internationales Medizinernetzwerk, die Cochrane Collaboration, ringen zum Beispiel schon seit einigen Jahren mit dem Konzern Roche um die vollständigen Daten zum Grippemittel Tamiflu. Sie argumentieren, dass man anhand der veröffentlichten Studien nicht entscheiden könne, ob das Mittel, das zahlreiche Länder gekauft hatten, um bei einer Grippeepidemie gewappnet zu sein, tatsächlich hilft. Roche hat nun angekündigt, noch im Mai damit zu beginnen, weitere Daten zu publizieren.

 

Glenn Begley dreht den Spieß um. Er war bis vor kurzem der Vizechef der Abteilung Krebsforschung des US-amerikanischen Unternehmens Amgen, das mit seinen Medikamenten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 17 Milliarden US-Dollar gemacht hat. In zwei Kommentaren im Fachmagazin „Nature“ liest er den Wissenschaftlern an den Universitäten und Forschungsinstituten die Leviten. Sie untersuchen, wie Tumore entstehen und wie man dies verhindern kann. Auf dieser Grundlagenforschung basiert die Entwicklung von Medikamenten. Doch Begley berichtete vor einem Jahr, er habe mit seinen Mitarbeitern bei Amgen 53 in der Fachwelt viel beachtete Studien überprüft, in denen neue Ansätze für die Krebstherapie vorgestellt werden. Nur in sechs Fällen habe er bei der Wiederholung des Experiments dasselbe Ergebnis erhalten.

Gestern legte Begley in „Nature“ eine Analyse nach: Seiner Ansicht nach sind viele Studienergebnisse unzuverlässig, weil sich die Forscher schnell zufrieden geben. Der Test ergibt, dass die Zellen ein bestimmtes Molekül produziert haben? Das genügt – wenn der Forscher genau dieses Ergebnis erwartet hat. Begley fordert die Forscher auf, skeptischer zu sein. Und er führt zugleich auf, warum sie das womöglich nicht sind: weil es kaum Konsequenzen hat, wenn sich ein Experiment erst nach Jahren weiterer Forschung als falsch herausstellt, und weil Wissenschaftler unter hohem Druck stehen, überraschende Fachartikel zu schreiben. Die Gutachter für Fachzeitschriften warteten ebenso wie die Mitglieder von Berufungskommissionen auf Artikel, die eine „perfekte Geschichte“ erzählen – also ein verständliches Resultat melden, das keine Fragen offen lässt.

Ein Kritiker spricht von einem „Über-Nacht-Ergebnis“

Eine solche Studie hat zum Beispiel ein Team um Gary Landreth im Februar 2012 im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht. Landreth ist Neurowissenschaftler an der privaten US-Hochschule Case Western Reserve University. Seine Botschaft: der Wirkstoff Bexaroten, der eigentlich für die Behandlung einer bestimmten Krebsform zugelassen ist, hat bei Labormäusen mit Alzheimer-Symptomen die für diese Krankheit typischen Ablagerungen im Gehirn, die Plaques, reduziert (die StZ hatte berichtet). Auch wenn die Autoren den Artikel mit der vorsichtigen These schließen, dass Bexaroten auch bei der Alzheimer-Krankheit „von therapeutischem Nutzen sein könnte“, formuliert die Pressestelle der Universität deutlicher, worum es geht: Die Forscher suchten nach einem „Heilmittel für Alzheimer“ und hätten dabei einen „dramatischen Durchbruch“ erzielt.

Schon jetzt ist diese Studie 122 Mal in weiteren Fachartikeln zitiert worden. Diese Zahl steht in der Welt der Wissenschaft für die Bedeutung eines Fachartikels. Gary Landreth und sein Team haben also für Aufsehen gesorgt. In solchen Fällen gilt aber nicht, was Glenn Begley beklagt: dass falsche Ergebnisse lange unentdeckt bleiben. Gleich vier Forscherteams aus den USA und aus Belgien haben die Experimente wiederholt. Wie sie gemeinsam in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Science“ berichten, sind sie alle gescheitert: Bei ihnen hat der Wirkstoff Bexaroten die Ablagerungen im Gehirn der Labormäuse nicht verringert.

Tierversuche lassen sich nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Bei Mäusen gelingt manche Therapie, die beim Menschen scheitert. Doch in diesem Fall steht infrage, ob das Medikament bei den Versuchstieren überhaupt angeschlagen hat. Konrad Beyreuther, der an der Universität Heidelberg das Netzwerk Alternsforschung leitet, ist mehr als skeptisch. Er spricht von einem „Über-Nacht-Ergebnis“ und sagt, ihm sei „schleierhaft“, wie die Studie von Landreth überhaupt das Gutachterverfahren der Fachzeitschrift bestehen konnte. Beyreuther zweifelt auch an dem biologischen Mechanismus, der dazu führen soll, dass Bexaroten die Plaques im Gehirn entfernt.

„In der Biologie gibt es keine perfekten Geschichten.“

In der Originalstudie stellten Gary Landreth und sein Team diese Theorie auf: Bexaroten aktiviert im Gehirn ein Gen namens ApoE, von dem man weiß, dass es mit Alzheimer zusammenhängt. Wenn das Gen aktiv ist, so die Theorie, nutzen die Zellen im Gehirn den genetischen Bauplan, um Biomoleküle herzustellen, die dafür sorgen, dass die Eiweiße der Plaques entfernt werden. In der Originalstudie haben sich sowohl die Eiweißablagerungen als auch die in Flüssigkeit gelösten Eiweiße innerhalb von drei Tagen substanziell verringert.

Konrad Beyreuther verweist auf eine Studie von Kollegen, die von einem umgekehrten Effekt berichten. Sie haben das ApoE-Gen in einer Zellkultur mit gentechnischen Methoden stillgelegt – und registrierten dadurch ebenfalls eine Reduktion der Eiweißablagerungen. Doch Gary Landreth zeigt sich in einer E-Mail unbeeindruckt: Er wundere sich darüber, dass seine Kritiker auf der falschen Theorie herumreiten, denn auf die Plaques komme es doch gar nicht an. Wichtig sei allein, die herumschwimmenden Eiweiße zu entfernen. Nur dann könne man bei den Mäusen auch wieder verbesserte geistige Fähigkeiten beobachten (siehe 2. Seite). Landreth berichtet zudem, dass er auf einer Fachtagung in Florenz im März Vorträge anderer Forscherteams gehört habe, die seine Experimente bestätigen (zum Beispiel diesen). Sie sind allerdings noch nicht in einem Fachjournal erschienen.

Die Diskussion um Bexaroten wirft nicht nur ein Licht darauf, wie medizinische Forschung hinter den Kulissen abläuft, sondern rührt auch an den Hoffnungen von Alzheimer-Patienten und ihren Angehörigen. Einer der Kritiker, Robert Vassar von der privaten Northwestern University in den USA, berichtet, dass Bexaroten bereits von einigen Ärzten verwendet werde, um Alzheimer zu behandeln. „Diese Praxis sollte sofort beendet werden“, wird Vassar in einer Pressemitteilung zitiert. Gary Landreth berichtet derweil von einer ersten klinischen Studie, in der jetzt überprüft werden soll, wie sich Bexaroten im Gehirn von Versuchspersonen auswirkt. Von einem Zulassungsantrag dieser Therapie wird man auch nach der ersten Studie noch einige Jahre entfernt sein.

Konrad Beyreuther rechnet nicht mit einer baldigen Therapie – dafür ist Alzheimer als Krankheit zu komplex, er sagt sogar, sie sei „untrennbar mit uns Menschen verbunden“. Und Glenn Begley empfiehlt ganz allgemein, vermeintlich eindeutigen Resultaten zu misstrauen: „In der Biologie gibt es keine perfekten Geschichten.“

Den Labormäusen ging es wieder besser

Versuchsaufbau
Legt man einer Maus Papiertücher in den Käfig, baut sie daraus instinktiv ein Nest. Die beiden oberen Bilder zeigen eine normale Maus (fachsprachlich „wild type“ genannt und mit „WT“ abgekürzt). Das linke Bild zeigt den ersten, das rechte Bild den dritten Tag des Experiments.

Labormaus
In der Alzheimerforschung werden oft Mäuse verwendet, denen ein verändertes menschliches Gen eingepflanzt wurde, das Eiweißablagerungen im Gehirn hervorruft. Diese Mäuse werden mit dem Kürzel Tg2576 bezeichnet. Im Bild links unten ist zu sehen, wie eine solche an Alzheimer erkrankte Maus auf die Papiertücher reagiert: gar nicht.

Wirkung
Im Experiment besserten sich die Fähigkeiten der Alzheimer-Mäuse schon nach drei Tagen Therapie mit dem Medikament Bexaroten, das in diesem Schaubild mit „Bex“ abgekürzt ist. Sie schienen sich wieder an ihren Instinkt zum Nestbau zu „erinnern“.

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