Bei Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, sterben massenhaft Nervenzellen im Gehirn ab. Nun könnte es einen Hoffnungsschimmer für Patienten mit einer milden Ausprägung der Krankheit geben. Allerdings sind weitere Studien notwendig.

Stuttgart - Die Hoffnungen, die auf dem Y-förmigen Molekül lagen, waren immens: Mit dem Antikörper Solanezumab, kurz Sola, schien endlich ein Wirkstoff gefunden zu sein, der dem Massensterben der Nervenzellen im Gehirn von Alzheimer-Patienten Einhalt gebietet. Im Jahr 2012 folgte jedoch eine herbe Enttäuschung. Gleich zwei große Studien des Sola-Herstellers Eli Lilly hatten damals ergeben, dass die Wirkung des Antikörpers kaum größer als die eines Placebos war.

 

Nun aber zeichnet sich erneut ein Hoffnungsschimmer ab. Denn möglicherweise kann Sola zumindest bei Patienten mit einer noch milden Ausprägung der Krankheit den fortschreitenden Verlust der Gehirnfunktionen verzögern. Das legen zumindest die Ergebnisse einer Studie nahe, die Wissenschaftler von Eli Lilly vergangene Woche auf einer Konferenz der amerikanischen Alzheimer’s Association in Washington vorgestellt haben.

Noch warnen Experten allerdings einstimmig vor Euphorie. „Der Ansatz, mit Hilfe von Antikörpern die schädlichen Ablagerungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten zu zerstören, weist eindeutig in die richtige Richtung“, sagt Christian Haass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in München. Von einer zugelassenen Therapie sei man trotzdem noch viele Jahre entfernt. Noch skeptischer ist Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, die an den Studien von Eli Lilly beteiligt war. „Ich halte die bisherigen Ergebnisse noch nicht für klinisch relevant“, sagt sie. Zwar sei der Ansatz der Behandlung möglicherweise sinnvoll, die Methode selbst jedoch bislang nicht effektiv genug. „Wir wissen noch viel zu wenig über die optimale Dosierung des Wirkstoffs und haben auch noch keine Antwort auf die Frage, wie viel von ihm überhaupt ins Gehirn der Patienten gelangt.“

Eiweiß neigt zum Verklumpen

Christian Haass war einer der ersten Wissenschaftler, der ein fehlgefaltetes Protein namens Amyloid-beta als den wahrscheinlichen Auslöser für den Tod der Gehirnzellen von Alzheimer-Patienten ausgemacht hatte. Das Eiweiß neigt zum Verklumpen und bildet so die gefährlichen Plaques, die die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, zerstören. Kein Medikament konnte diesen Prozess bisher aufhalten. Vorhandene Arzneien gegen Alzheimer stärkten lediglich die Funktion der noch bestehenden Synapsen. Ihre Wirkung im Kampf gegen den fortschreitenden Gedächtnisverlust und die zunehmende Orientierungslosigkeit der Patienten blieb jedoch mehr als begrenzt. Solanezumab und ein weiterer Antikörper der Firma Biogen, Aducanumab, könnten, hoffen Forscher, erstmals direkt in den Entstehungsprozess von Alzheimer eingreifen. Die Moleküle sollen sich an Amyloid-beta heften und es dem Immunsystem auf diese Weise ermöglichen, die Proteinklumpen aufzulösen.

Biogen konnte bereits im Frühjahr in einer allerdings sehr kleinen Studie mit nur 166 Patienten zeigen, dass das Prinzip zu funktionieren scheint. Die Probanden, die in fünf Gruppen eingeteilt worden waren, hatten ein Jahr lang alle vier Wochen entweder Aducanumab in vier verschiedenen Konzentrationen oder aber ein Placebo gespritzt bekommen. Per Computertomografie ließ sich feststellen, dass die Ablagerungen im Gehirn derjenigen Teilnehmer, die das echte Medikament erhalten hatten, nach einem halben Jahr zu verschwinden begannen. Gleichzeitig schienen sich die Gedächtnisfunktionen dieser Probanden zu stabilisieren. Der Start einer größeren Studie mit Aducanumab ist für das laufende Jahr geplant. Eli Lilly schien mit Solanezumab zunächst weniger Glück zu haben als Biogen. Im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ musste der Konzern vor drei Jahren eingestehen, dass sein Antikörper nach einer 18-monatigen Therapie bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz kaum Wirkung gezeigt hatte.

Eine erneute Analyse der Daten deutete jedoch darauf hin, dass Patienten mit nur milden Symptomen vielleicht doch von der Behandlung profitieren könnten. Eli Lilly startete daraufhin im Jahr 2013 eine weitere Studie, in die nur Patienten mit beginnendem Alzheimer aufgenommen wurden. Die eine Hälfte wird seither mit Sola behandelt, die andere Hälfte erhält ein Placebo. Erste Ergebnisse dieser Untersuchung werden 2016 erwartet. Die Daten, die jetzt in Washington vorgestellt wurden, stammen hingegen aus einer weiteren Teilstudie. In ihr wurden die Patienten der ersten beiden Studien weiter behandelt. Darüber hinaus erhielten nun aber auch diejenigen Probanden den Wirkstoff, die zuvor in den Placebo-Gruppen gewesen waren. Mit diesem Verfahren wollten die Forscher herausfinden, ob Sola das Fortschreiten der Krankheit wirklich verlangsamen kann. Dann hätten die Patienten, die das Mittel erst 18 Monate später erhielten, diejenigen Probanden, denen es von Anfang an verabreicht worden war, in Bezug auf ihre kognitiven Leistungen nicht mehr einholen dürfen. Tatsächlich hätten sich am Ende der dreieinhalbjährigen Studiendauer noch immer Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gezeigt, berichteten nun die Forscher von Eli Lilly.

Lange Suche nach der Ursache

Auch wenn das Design ihrer Studie auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, hält Christian Haass es durchaus für geschickt. Zwar seien die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht groß – doch für relevant hält er sie allemal. „In jedem Fall zeigt das Ergebnis einmal mehr, dass wir mit Amyloid-beta tatsächlich den Auslöser von Alzheimer identifiziert haben.“ Charité-Medizinerin Heuser hingegen ist sich in dieser Frage weitaus weniger sicher. „Aus den bisher vorliegenden Daten kann ich diesen Schluss jedenfalls nicht ableiten“, sagt sie. Heuser hält es beispielsweise durchaus für denkbar, dass im Kampf gegen Alzheimer auch noch ein zweites Eiweiß Zielscheibe für Antikörper-Therapien werden müsste: das Tau-Protein, das im Inneren der Nervenzellen Schaden anrichtet. Impfungen, die sich gegen Tau richten, werden derzeit an Patienten untersucht.

Ob sich der Ansatz, schädliche Eiweiße mit Antikörpern zu bekämpfen, überhaupt als ein sicherer Weg erweist, müssen weitere, größere Studien zeigen. Bisher hält Isabella Heuser die Nebenwirkungen von Solanezumab und Aducanumab – etwa winzige Blutungen und Wasseransammlungen im Gehirn – für nicht allzu dramatisch. Doch selbst der optimistischere Grundlagenforscher Haass mahnt zur Vorsicht: „Noch haben wir keine Ahnung davon, wie das Gehirn mit dem entstehenden Eiweiß-Müll umgeht und welche Schäden es möglicherweise davonträgt“, sagt er.