Im Rahmen des Festivals „Die irritierte Stadt“ sind die Neuen Vocalsolisten an der Seite von eingeblendeten Musikern aus Mali im Theaterhaus aufgetreten. Ein bunter wie auch anstrengender Abend.

Stuttgart - Und wo soll man sich jetzt hinsetzen? Nur ein paar Stühle stehen am Rand, ansonsten sind im Saal Monitore und Musiker verteilt, das Publikum darf also umherwandeln. Allerdings: nicht ohne vorher die extra-starke Maske aufzuziehen, die es zusammen mit der Eintrittskarte gibt. Soviel Corona-Schutz muss sein bei dieser Uraufführung im Theaterhaus, die gleich zweimal hintereinander an einem Abend stattfand. Schließlich sind es nicht allzu viele, die in den Saal dürfen. „Am Anfang“ heißt die Produktion unter der Federführung des in Berlin lebenden Gitarristen Marc Sinan, die jetzt im Rahmen des Festivals „Die irritierte Stadt“ zu sehen war.

 

Die Stadt ist jedoch nicht der Bezugsrahmen für diese multimediale Performance mit fünf Sängern, drei Instrumentalisten und noch weiteren afrikanischen Musikern, die über die Monitore eingespielt werden. Es ist die ganze Welt – und ihr Ursprung. Davon erzählt man sich in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Geschichten. Schöpfungsmythen seien ein rassistisch aufgeladenes Thema, findet Sinan. In Mali, im Volk der Dogon, gibt es die Erzählung von einem Zwilling, der aus dem Mutterleib flieht. Das Stück Plazenta, das dabei herausfällt, das ist die Erde. Rätselhaft? Schon. Aber wie einleuchtend ist die Geschichte von Gott, der die Welt in sieben Tagen erschaffen hat für Menschen aus Mali?

Alles scheint gleichzeitig zu passieren

Was die Dogon zu erzählen haben, das erfahren die Zuschauer auf eingeblendeten Texten und über ein Video, in dem ein Vertreter dieses Volkes erst erzählt und dann beginnt zu singen. Die Musik ist das Medium und die klingt überall im Saal. An einer Seite stehen die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, untereinander getrennt durch Plexiglaswände, und lassen hören, was mit Stimmbändern und einer exakten Artikulation alles möglich ist. Sie bringen Plastikflaschen zum Knistern, lassen lautstark die Lippen vibrieren und Phoneme hüpfen, tänzeln mit Tönen oder werden zur menschlichen Sirene.

Auf der anderen Seite spielen Marc Sinan an der Gitarre, Oguz Büyükberber an der Klarinette und am Saxophon. Drängend, intensiv. Klänge, die für sich stehen und manchmal in einen Dialog treten mit den Musikern des Ensembles BomBla aus Bamako, der Hauptstadt von Mali. Sie sind nicht live vor Ort, die Monitore zeigen, wie sie die Spießlaute, das Balafon, die Bolon-Harfe spielen. Ein ziemlich gewaltiger Klangkörper kommt da elektronisch verstärkt zusammen. Zu sehen sind nicht nur die Musiker aus Afrika, auch das Marc Sinan Ensemble und die Vocalsolisten sind immer wieder im Bild. Die Videos von Adrian Figueroa verknüpfen Probenbilder und Live-Situation, alles scheint gleichzeitig zu passieren.

„Mit der Frau beginnt alles und hört alles auf“

Und dann gibt es noch die Tänzerin und Choreografin Kettly Noël, die sich erst im Bild unter den Musikern bewegt, mit Armen wie Schwingen, dann wieder kauernd, abwartend mit großen aufgerissenen Augen. In der Mitte der einstündigen Performance betritt sie die Bühne, oder besser ein Bühnenobjekt mit unregelmäßigen Stufen und knallt dort ihren Oberkörper fest auf den Boden. „Mit der Frau beginnt alles und hört alles auf“, steht auf einem der Monitore zu lesen. Die Frau ist jetzt da.

Anstrengend ist vieles in dieser multimedialen Performance, die Lautstärke, die Bilderflut, die Rätselhaftigkeit der Texteinsprengsel, die fortwährende Entscheidung zur Ausrichtung – was man hier hört und dort sieht, klingt dort drüben wieder anders und sieht da verschieden aus.

Den Spielplan gibt es auf der Festivalhomepage unter www.irritiertestadt.de