An diesem Mittwoch beginnt das Stuttgarter Eclat-Festival. Christine Fischer und Lydia Jeschke haben ein Programm geplant, das von Installationen über Orchesterkonzerte bis hin zu experimentellem Musiktheater reicht.

Stuttgart - Aufruhr? Skandal? Nein, darum geht es eigentlich nicht. Viel eher soll sich in dem Namen, den das seit 1980 veranstaltete Stuttgarter Neue-Musik-Festivalseit 1997 trägt, all das widerspiegeln, was das französische Wort außerdem noch beinhaltet. Eclat, das heißt auch: „Splitter“, „Knall“ und „Glanz“, und tatsächlich ist auch das diesjährige Festival nicht einem einzigen Thema, nicht einer einzigen Kunst oder einer dominierenden ästhetischen Maxime verpflichtet, sondern einer schillernden Vielfalt, die sich in 24 Uraufführungen (das sind etwa doppelt so viele wie bei den letzten Donaueschinger Musiktagen!) und acht deutschen Erstaufführungen zeigen wird.

 

„Das Eclat-Festival gibt Künstlern eine Plattform, es schafft Freiheit, und gerade jüngere Komponisten wissen, dass sie hier etwas wagen können“, sagt Christine Fischer. „Eclat ist stärker als andere Festivals in der Gesellschaft verankert, es hat eine politische Perspektive“, sagt Lydia Jeschke. Seit 2016 sind Fischer und Jeschke für das Programm des Festivals verantwortlich: Die Redaktionsleiterin für Neue Musik im Südwestrundfunk (SWR) kuratiert, plant und organisiert die beiden Konzerte der SWR-Klangkörper, also des SWR-Symphonieorchesters und des SWR-Vokalensembles, und die Intendantin der Institution Musik der Jahrhunderte programmiert als verantwortliche Festival-Veranstalterin ihre Konzerte vor allem mit Blick auf die Stadt. Und hat über die Jahre hinweg großes Geschick darin entwickelt, den von Stadt und Land gewährten Basisetat des Festivals von etwa 300 000 Euro mit Geldern vor allem von großen Stiftungen oft nahezu zu verdoppeln. Das ist wichtig, denn für Musik der Jahrhunderte ist Eclat zwar der Höhepunkt und Leuchtturm jeder Saison, andererseits müssen aus dem Jahresbudget auch die Neuen Vocalsolisten, die Konzertreihe „Südseite nachts“, das kleine Festival „Sommer in Stuttgart“ und die Gehälter des fünfköpfigen Teams bezahlt werden. Die SWR-Konzerte zahlt der Sender, überträgt aber auch einen Großteil der anderen Konzerte auf den „JetztMusik“-Programmplätzen von Februar bis April.

Unterschiedliches prallt aufeinander

Eclat, da sind sich Christine Fischer und Lydia Jeschke einig, ist ein urbanes Festival, also eine Veranstaltung, die den Dialog mit der Bevölkerung vor Ort sucht. „Das“, sagt Christine Fischer, „empfinde ich als große Verantwortung: dass wir eine breite Ästhetik anbieten, also auch Unterschiedliches aufeinanderprallen lassen, denn nur so entsteht der Diskurs, den wir wollen.“ „Zu Eclat“, sagt Lydia Jeschke, „kommen nicht nur Neue-Musik-Reisende, sondern ein neugieriges Publikum aus Stadt und Region, und es ist ungemein spannend, dass darunter auch viele Besucher aus anderen – künstlerischen und wissenschaftlichen – Disziplinen sind.“ Das sei in Stuttgart besonders bereichernd und herausfordernd, „weil wir dadurch gezwungen sind, eine Sprache zu sprechen, die nicht nur Notenschrift ist“. Besonders, da sind sich beide einig, ist bei Eclat auch der Raum: Während bei den Festivals in Donaueschingen, Witten oder Berlin („Ultraschall“) Musiker und Technik zwischen unterschiedlichen Räumen hin und her reisen müssen, bietet das Theaterhaus in Stuttgart Platz für alle(s) – ein Alleinstellungsmerkmal.

Die politischen Implikationen vieler Werke bringen das auch 2018 zwangsläufig mit sich: Da geht es (in Laurent Durupts Musiktheater „Anthroposcène“) um künstliche Intelligenz, um unterschiedliche Wahnehmungsformen bei Film, Text und Musik (in Clemens Gadenstätters „Daily Transformations“), um die jüdische Idee des Messianismus (in Claus Steffen-Mahnkopfs „Voiced void“), um männliches Heldentum (in Raphael Sbrzesnys „Principal Boy“); hinzu kommt eine durchaus ernst gemeinte neue Operette (Gordon Kampes „Schummellümmelleichen und schrille Tentakel“), ja sogar eine Performance im Kühlschrank (Aliénor Dauchez’ „Sous Vide“), und neben szenisch Gedachtem knallen, glänzen und zersplittern die unterschiedlichsten Klangstücke mal ziemlich experimentell, mal aber auch eher traditionell. Fünf Tage dauert das Eclat-Festival 2018, und die schillernde Vielfalt beginnt am Mittwoch schon beim Konzert des Ensembles Mosaik, das unter Enno Poppes Leitung Malte Giesens Preisträgerstück vom 62. Kompositionspreis der Stadt Stuttgart mit neuen Stücken kombiniert, in denen etwa Streichhölzer verstärkt und ein historischer Synthesizer reanimiert werden. Das Werk der ersten Preisträgerin, Juliana Hodkinsons „Can modify completely“, ist der Versuch eines Dialogs zwischen einer permanent umgestimmten E-Gitarre und dem Orchester – und erklingt erst im Abschlusskonzert am Sonntag.

Festivalleiterinnen und die Komponistinnenförderung

Hodkinson ist eine Frau – das ist in der Komponistenszene immer noch ein Sonderfall. Beim Eclat-Festival 2018 stammen vierzig Prozent der Werke von Komponistinnen. Setzen zwei weibliche Festivalleiterinnen mehr Werke von Frauen auf ihre Programme? „Nein“, sagt Lydia Jeschke, „ich habe keine Quote im Kopf. Aber es ist eine Aufmerksamkeit dafür da, dass es sehr gute Stücke von Komponistinnen gibt, und andere Veranstalter haben diese Aufmerksamkeit vielleicht nicht.“ „Ja“, sagt Christine Fischer, „als Festivalleiterin will ich Komponistinnen unbedingt das Signal geben, dass sie bei uns gewollt und gehört werden und sich etwas trauen sollen.“ Die Quote als „inneres Korrektiv“: So formuliert sie das – und glaubt außerdem fest daran, dass sich die Debatte um Geschlechterproportionen unter Komponisten in ein paar Jahren von selbst erledigt habe. „Im Vordergrund“, argumentiert ihre SWR-Kollegin, müsse immer „das Interessante der Stücke stehen“. Im übrigen könne man ihr und Christine Fischer Frauenfeindlichkeit kaum vorwerfen. „Ein Rechtfertigungsproblem haben wir also nicht, und deshalb können wir dieses Thema ein bisschen entspannter angehen.“