Die amerikanische Musikerin hat am Mittwochabend im Stuttgarter Theaterhaus einen im wahrsten Sinne des Wortes denkwürdigen Auftritt hingelegt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Über zwei Stunden sind bereits vergangen, eine weitere wird noch folgen, als Amanda Palmer zu erklären versucht, was den Besuchern widerfährt. „Ich hätte jetzt auch zwei Stunden lang Songs von meinem neuen Album spielen können, dazu die vier größten Dresden-Dolls-Hits, und alle wären glücklich gewesen“, erzählt die 43-jährige amerikanische Musikerin nun – und damit hat sie zweifelsohne Recht.

 

Ein sehr schönes Album hat sie in „There will be no Intermission“ vorgelegt, und Songs wie das darauf befindliche „Drowning in the Sound“ hätte man am Mittwochabend im vollen großen Saal des Theaterhauses ebenso gerne gehört wie etwa den glänzenden Klassiker „Half Jack“ ihrer – laut Palmer nicht aufgelösten, sondern lediglich pausierenden – Band Dresden Dolls. Stattdessen bietet sie einen dreistündigen Monolog, der sich viel um ihr Leben und noch mehr buchstäblich um ein Lebensthema dreht, das sie zumindest derzeit offenbar für sich gefunden hat. Diesen Monolog lockert sie zwischendurch nicht gerade ausufernd mit ein paar wenigen Songs auf, wobei der Begriff auflockern angesichts der tragischen Verse in ihnen hier auch nicht so richtig ins Schwarze trifft. Amanda Palmer redet über Abtreibungen, ihre eigenen sowie die gesellschaftliche Gemengelage zum Thema, und so wird aus dem erwarteten Konzert tatsächlich eher eine dreistündige Gruppentherapiesitzung. „Ein Künstler steht nicht in der Pflicht, seinem Publikum eine schöne Zeit zu bereiten“, sagt Amanda Palmer schließlich zum Abschluss ihrer Begründung – und damit hat sie zweifelsohne ebenfalls Recht.

Woher rührt dann also das merkwürdige Unbehagen, das so manche Besucher anschließend mit in die Stuttgarter Nacht genommen haben? Zum einen liegt das natürlich am Sujet. „Niemand schüttelt dir gratulierend die Hand, niemand überhäuft dich mit Blumen“, berichtet sie über ihre eigenen Erfahrungen nach Abtreibungen; und davon hat sie ebenso reichlich zu bieten wie zu erzählen. Zum anderen aber auch an einer enttäuschten Erwartung an einen Konzertabend, über den nicht erfüllten, nun mal aber auch nicht wegzudiskutierenden Wunsch der Menschen, sich von einem Künstler gegen Eintritt in erster Linie doch mit seiner Kunst unterhalten zu lassen.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem Amanda Palmer da wandelt, und unglaublich viel müsste man darüber eigentlich noch erzählen. Was bleibt, sind die lehrreichen Erkenntnisse darüber, wie und warum viele ihrer Songs entstanden sind; die schöne Art und Weise, in der sie die musikalischen Interludien auf einem Flügel und – am Bühnenrand sitzend – auf der Ukulele spielt, bis hin zum abschließenden, auf Deutsch vorgebrachten Stück vor den Zugaben; die sinnfällige Lichtregie; die souveräne und bei aller Schwere des Themas leichtfüßige Darbietung sowie die gewonnenen Erkenntnisse auch aus den zahlreichen Querverbindungen, die Amanda Palmer in vielen leisen Momenten von einer unbekannten Masseurin zu den TED-Talks und von Nick Cave über ihren Ehemann Neil Gaiman bis zu Hannah Gadsby zieht. Und was auf jeden Fall bleibt: viel Stoff zum Grübeln. Den zu liefern ist ja die eigentliche Aufgabe eines Künstlers – zumindest so gesehen hat Amanda Palmer alles richtig gemacht.