Mehr als 1000 Amazon-Mitarbeiter in Bad Hersfeld und Leipzig legen für faire Löhne ihre Arbeit nieder. In Pforzheim hat der in der Vorwoche gewählte Betriebsrat die Arbeit aufgenommen.

Stuttgart - Verdi verschärft seinen Kurs gegenüber Amazon. Es sind bereits die Streiktage vier und fünf seit Mitte Mai, doch zum ersten Mal haben am Montag zahlreiche Versandmitarbeiter ihre Arbeit für 48 Stunden am Stück niedergelegt. An den Standorten des Internethändlers in Bad Hersfeld und Leipzig traten am Morgen nach Gewerkschaftsangaben mehr als 1000 Beschäftigte in den Ausstand. Verdi fordert vom Arbeitgeber, die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel zu bezahlen. Amazon beharrt indessen weiter darauf, sich an den Tarifen der Logistikbranche zu orientieren, deren Stundenlohn unter dem Tarif von Einzel- und Versandhandel liegt. Laut Verdi gibt es zudem kein Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld, Nachtarbeitszuschläge werden erst ab Mitternacht gezahlt.

 

Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske trat am Montag an beiden vom Streik betroffenen Standorten auf. „Die Stimmung ist gut. Die Kollegen wollen es jetzt wissen – und das ist auch richtig so“, sagte Bsirske in Leipzig. „Es muss Schluss sein damit, dass sie wie Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt werden.“ Für die Amazon-Mitarbeiter stehe ein Tarifvertrag wie im Einzel- und Versandhandel an. „Was nicht ansteht, ist Wild West wie in Texas. Wir sind hier nicht in Texas!“, sagte Bsirske.

Verdi droht bereits mit unbefristeten Streiks

Die Gewerkschaft hat bereits mit unbefristeten Streiks gedroht, falls sich Amazon weiterhin weigert, auf ihre Forderungen einzugehen. Der zuständige Verdi-Sekretär in Leipzig, Thomas Schneider, erklärte dazu am Montag, man sei auf eine lange Auseinandersetzung eingestellt. „Einen Langzeitstreik wollen wir nicht unbedingt, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, sind wir auch dazu bereit“, sagte Schneider.

Ihren Respekt bekundete den streikenden Beschäftigten in Hessen und Sachsen auch die für Amazon in Pforzheim zuständige Gewerkschaftssekretärin Lydia Taubert: „Es ist großartig, was dort passiert. Die Mitarbeiter haben erkannt, dass man für seine Belange kämpfen muss“, sagte sie der Stuttgarter Zeitung. Die Belegschaft am jüngsten deutschen Logistikstandort des Versandriesen scheint dagegen noch weit von ähnlichen Aktionen entfernt zu sein. Zwar sei die Gewerkschaft auch hier dazu bereit, doch auch die Mitarbeitervertreter müssten gewillt sein, die Interessen der Beschäftigten wirksam zu vertreten. Tauberts Appell galt dem in der Vorwoche gewählten ersten Amazon-Betriebsrat in Pforzheim.

Der Pforzheimer Betriebsrat muss seine Ziele noch formulieren

Zu den konkreten Zielen der 15-köpfigen Mitarbeitervertretung wollte sich der Vorsitzende des Gremiums, Christos Kalpakidis, am Montag im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung noch nicht äußern. Zunächst einmal stehe im Juli eine gemeinsame Klausurtagung an, auf der man sich über das weitere Vorgehen einigen wolle. Dass es in Zukunft auch in Pforzheim zu einer Urabstimmung und Arbeitskampfaktionen kommen könnte, wollte er zumindest nicht ausschließen. „Wir haben viel vor und werden auch viel für die Mitarbeiter erreichen“, sagte Kalpakidis. In Pforzheim arbeiten rund 1100 Beschäftigte, etwa 750 sind unbefristet angestellt.

Die Gründung des Betriebsrates war von Unstimmigkeiten zwischen Belegschaftsvertretern und der Gewerkschaft überschattet (die StZ berichtete). Mitarbeiter fühlten sich von Verdi unter Druck gesetzt, die Gewerkschaft wurde von Sitzungen im Vorfeld der Betriebsratswahlen ausgeschlossen. Hinterher wurde auch die Postenverteilung innerhalb des neu geschaffenen Gremiums von Verdi kritisiert: Weder bei der Wahl des Vorsitzenden und seines Stellvertreters noch bei der Besetzung von vier freigestellten Vorständen sei eines der vier in den Rat gewählten Verdi-Mitglieder berücksichtigt worden – und das, obwohl „die Verdi-Liste bei der BR-Wahl mit mehr als einem Drittel der abgegebenen Stimmen das beste Ergebnis aller sechs angetretenen Listen erreicht hatte“. Betriebsratschef Kalpakidis hat kein Verständnis für diese Kritik: „Die Mitglieder haben frei gewählt, niemand hat sie gezwungen.“