Deutschland wirft multinationalen Konzernen vor, aggressiv Steuerschlupflöcher zu nutzen. Gewinne werden in Steueroasen verlagert. Ginge es nach Berlin, sollte das in Zukunft nicht mehr möglich sein.

Berlin - Deutschland, Frankreich und Großbritannien legen sich mit mächtigen Konzernen wie Google, Amazon und Ikea an. Die Bundesregierung wirft global tätigen Unternehmen vor, ungehemmt Steuerschlupflöcher zu nutzen. Schon die britische Regierung hat in den vergangenen Wochen den Druck auf weltweit tätige Konzerne erhöht, damit sie in Großbritannien nennenswerte Steuern zahlen. Berlin sucht seit einiger Zeit den Schulterschluss mit Partnern, um den Steuersparmodellen der Großen einen Riegel vorzuschieben. „Wir beobachten eine zunehmend aggressive Steuergestaltung bei multinationalen Konzernen“, sagt Michael Sell, Steuerabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung. Dieses Verhalten möge legal sein, es sei aber oft nicht legitim.

 

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beauftragte Ende November zusammen mit seinen Kollegen aus London und Paris die Wirtschaftsorganisation OECD damit, Lücken im Unternehmenssteuerrecht ausfindig zu machen. Für die Expertise stellen die drei Länder knapp eine halbe Million Euro zur Verfügung. So schnell wie möglich sollen konkrete Empfehlungen vorliegen, heißt es in dem Brief der drei Finanzminister an den OECD-Generalsekretär Angel Gurría.

Google wendet einen simplen Trick an

Der Bundesregierung ist ein Dorn im Auge, dass Konzerne wie Amazon, Google und Starbucks an ihren Auslandsstandorten kaum Steuern zahlen. Eine Analyse einer renommierten deutschen Steuerkanzlei kommt zum Ergebnis, dass zum Beispiel der Computerkonzern Apple im Jahr 2010 auf ausländische Gewinne nur ein Prozent Steuern entrichtete. Bei Google betrug die Steuerbelastung ausländischer Gewinne mickrige drei Prozent. Vor allem Google zieht den Zorn der Steuerbeamten auf sich: Mit einem simplen Trick drückt der Internetgigant seine Steuerlast. In Deutschland unterhält der US-Konzern zwar eine Tochtergesellschaft, doch die hat mit dem eigentlichen Geschäft wenig zu tun. Ein deutsches Unternehmen, das bei Google werben will, schließt die Verträge mit der irischen Google-Tochter. In Irland beträgt die Körperschaftsteuer nur 12,5 Prozent, während sie in Deutschland einschließlich Gewerbesteuer mehr als doppelt so hoch ausfällt.

Nach Ansicht von Steuerexperten unternimmt Google einige Anstrengungen, um die niedrige Steuerlast in Irland zu senken. Der Konzern unterhält im Steuerparadies Bermudas eine wichtige Tochtergesellschaft, die weltweit Lizenzen vermarktet. Für die Nutzung der Lizenzen überweist die irische Google-Tochter Geld auf die Bermudas. Auf diese Weise kann der Konzern Werbeeinnahmen nahezu steuerfrei in Steueroasen transferieren. Die Europäer haben das Nachsehen.

Die Steuermoral soll Thema beim G-20-Treffen werden

Doch auch in den Vereinigten Staaten wächst die Kritik gegen solche Praktiken. Auf dem nächsten Treffen der Finanzminister der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G 20) in Russland soll über das Problem diskutiert werden. Auch wenn ein konzertiertes Vorgehen viel Zeit benötigt, müssen die betreffenden Konzerne mit Gegenwind rechnen.

Im Bundesfinanzministerium ist man sich bewusst, dass nicht nur exotische Orte Steuerschlupflöcher bieten. „Bei der Sicherung der Steuerbasis gibt es auch Baustellen in Europa“, heißt es. Namen will das Ministerium nicht nennen. Doch öffentlich am Pranger steht beispielsweise auch der Versandhändler Amazon, der mit seiner Europazentrale in Luxemburg seine Steuerlast mindert. Vor Kurzem gab Amazon bekannt, die Zahl der Mitarbeiter im Großherzogtum von 450 auf 600 zu erhöhen. Niemand wirft Amazon illegale Praktiken vor. „Diese Konzerne verwenden viel Energie darauf, die Konzernsteuern niedrig zu halten“, sagt ein Steuerfachmann. Amazon wollte keine Fragen beantworten.

Vor allem Unternehmen, deren Geschäft aus dem Verkauf von Rechten und Lizenzen besteht, eröffnen Steuergesetze viele Möglichkeiten. Solche Anbieter seien anfällig für Steuersparmodelle. Ein Industriebetrieb, der Werke in einem Land besitzt, hat nach Meinung des Experten weniger Gestaltungsspielraum. Oft sind aber auch laxe Steuergesetze schuld. Luxemburg gilt als attraktiv: Der Kleinstaat erhebt auf elektronische Bücher (E-Books) einen Mehrwertsteuersatz von nur drei Prozent. Die EU prüft, ob sie gegen das  Land ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet.

Die Probleme bei der Steuergestaltung hält Berlin nur für lösbar, wenn die Industrieländer zusammenarbeiten. „Unsere Bestrebungen haben ein klares Ziel: In den Staaten, in denen multinationale Konzerne ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wahrnehmen, sollen sie in angemessener Weise Steuern zahlen“, heißt es im Finanzministerium. Deshalb soll die Gewinnverlagerung ins Ausland eingeschränkt werden. Das fordert auch der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing. Die Strategien zur Steuervermeidung seien unverantwortlich, meint er. „Wir müssen dringend gegensteuern.“ Die Regierung ist darauf bedacht, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Denn Berlin bescheinigt hiesigen Unternehmen eine gute Steuermoral. „Es gibt auch Positives: In Deutschland achten viele Konzerne darauf, dass sie einen angemessenen Teil ihrer Steuern in Deutschland zahlen“, sagt Abteilungsleiter Sell. „Dieser Fiskalpatriotismus ist leider nicht selbstverständlich.“