Der Amazon-Gründer Jeff Bezos war bisher nicht für sein Interesse an intellektuellen Inhalten bekannt. Doch für die kriselnde „Washington Post“ kommt der hemdsärmelige Milliardär von der Westküste gerade noch zur rechten Zeit-

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - Für den Amazon-Gründer Jeff Bezos, dessen Privatvermögen auf bis zu 25 Milliarden Dollar geschätzt wird, sind die 250 Millionen Dollar (190 Millionen Euro), die er für die „Washington Post“ bezahlt hat, im wahrsten Sinn des Wortes Kleingeld. Doch was will ein Internet-Innovator, dem hartnäckig der Ruf anhaftet, dass ihn das gedruckte Wort höchstens in Form von Umsatzzahlen interessiert, mit seiner Investition? Bezos blieb in seiner Stellungnahme zum Kauf recht vage: „Die Werte der ,Post‘ brauchen sich nicht zu verändern“, schrieb er. „Die Zeitung wird weiterhin ihren Lesern verpflichtet sein und nicht den privaten Interessen ihrer Besitzer.“

 

Für die Familie Graham war das Blatt auch Teil einer Mission

Dennoch ist die Übernahme ein Paukenschlag. Seit 1933 war die „Washington Post“ in den Händen der Familie Graham – für die das Blatt nicht nur ein Renditeobjekt war, sondern auch Teil einer Mission. Dass eine solche Verlegerfamilie nun vor der Aufgabe kapituliert, das Traditionsblatt ins digitale Zeitalter zu führen, ist ein Menetekel. „Unsere Strategie war es, im digitalen Geschäft und auf anderen Feldern wie verrückt zu modernisieren, um die sinkenden Einnahmen aus dem Printbereich zu kompensieren“, so zitiert das Magazin „The New Yorker“ den Verleger Donald Graham: „Inzwischen sind im siebten Jahr in Folge die Einnahmen zurückgegangen und es hat sich die Frage gestellt, was wir tun könnten.“ Bezos sei ein Mann mit einer Vision, sagte Graham. Der liberale Bezos ist auch politisch kompatibel. Der 49-Jährige, der als Kind Mr. Spock aus der TV-Serie „Raumschiff Enterprise“ sein wollte, kommt aber von der kulturell von der US-Hauptstadt weit entfernten Westküste. 1994 gründete er Amazon als Buchversand – und hat die Firma dank radikaler Expansion zum Giganten mit 67 Milliarden Dollar Jahresumsatz gemacht.

Während beim Namen „Washington Post“ immer noch die legendären Enthüllungen zum Watergate-Skandal vor 40 Jahren mitschwingen, ist die Gegenwart prosaisch: „Demoralisiert von jahrelangem Stellenabbau, abstürzender Auflage und endlosen finsteren Gerüchten“, so beschrieb das Magazin „The New Yorker“ die Stimmungslage der Journalisten, als sie vom Verkauf erfuhren. Die Zeitung hatte nicht mehr das Geld, um ihren Anspruch zu verteidigen. Einst war die „Washington Post“ auf Augenhöhe mit der „New York Times“ – doch wirklich konkurrieren kann sie nur noch bei der Berichterstattung über die nationale Politik. Jenseits davon sieht es trübe aus. Die „Washington Post“ war immer auch ein lokales Blatt. Und hier haben die Leser den Sparkurs zusehends gespürt. Noch mehr Lücken gibt es bei der internationalen Berichterstattung: In immer weniger Regionen leistet sich die „Washington Post“ eigene Korrespondenten.

Die großen Marken haben globale Vermarktungskonzepte

Die „New York Times“ und das „Wall Street Journal“ haben dagegen früh begriffen, dass im Internetzeitalter ein englischsprachiges Qualitätsmedium seine Leser in den ganzen USA und sogar überall auf der Welt finden kann. Das „Wall Street Journal“ offeriert im Netz inzwischen drei verschiedene englische Versionen seiner Website für die USA, Europa und Asien. Dazu kommen neun fremdsprachige Internetausgaben – von Deutsch über Indonesisch bis Türkisch.

Die „New York Times“ verkauft heute mehr digitale Exemplare als gedruckte Zeitungen. Fast 1,1 Millionen durch Abonnements oder auch über die Lesegeräte von Amazon vertriebenen digitalen Ausgaben stehen wochentags nur noch 730 000 gedruckte Exemplare gegenüber. Auch die „New York Times“, die fest in den Händen der Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger ist, hat Hilfe von außen gebraucht. Im Krisenjahr 2009 gab es vom mexikanischen Multimilliardär Carlos Slim eine Finanzspritze von 250 Millionen Dollar. Im Jahr 2011 kaufte er weitere Anteile und ist seither mit rund acht Prozent am Blatt beteiligt.

Die Defizite in der digitalen Strategie überwinden

Jeff Bezos muss bei der „Washington Post“ als Erstes die Defizite in der digitalen Strategie überwinden. Bei den Bezahlinhalten im Internet hinkt die „Washington Post“ den New Yorker Konkurrenten um Jahre hinterher. Erst Anfang Juni hat das Blatt die Bezahlschranke der „New York Times“ kopiert. Insgesamt 20 Artikel im Monat sind gratis, jenseits davon braucht man ein Abonnement, das monatlich 9,99 Dollar kostet.

Jeff Bezos hat noch keinen Fingerzeig gegeben, wohin er die „Washington Post“ führen wird. Aber man kann davon ausgehen, dass ein Mann, dem bei Amazon Expansion wichtiger ist als Rendite und der mit der Raumschifffirma Blue Origin den Weltraumtourismus voranbringen will, in großen Dimensionen denkt. Auch wenn es angesichts seines Vermögens paradox klingt: Geld ist für den Mann von der dynamischen US-Westküste nicht das Wichtigste. Der spektakuläre Kauf ist gut fürs Image – nicht nur für den als hemdsärmelig geltenden Bezos, sondern auch für Amazon.

Bezos kann sich mit der Zeitung als Trophäe schmücken

Zwei Wege stehen ihm offen: Er kann sich mit der „Washington Post“ als Trophäe schmücken – und als ein Mäzen der Pressefreiheit auftreten. Die Rettung von Tageszeitungen als Bürgerpflicht ist für die USA heute nicht ungewöhnlich. Es gibt immer mehr gemeinnützige Stiftungen, die etwa Recherchen unterstützen und sich von dem Gedanken verabschiedet haben, man müsse mit Qualitätsjournalismus Gewinne schreiben. Bezos würde in diesem Fall schlicht ein Qualitätsblatt stützen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er den Deal als Privatmann einfädelte – was allerdings auch einfacher war als über die börsennotierte Firma Amazon. Er hat sich bei seinem Kauf auf die Zeitung konzentriert und etwa den mit dem Blatt verbundenen Bildungsanbieter Kaplan oder einige Online-Plattformen außen vor gelassen.

Doch wahrscheinlicher ist, dass Bezos die von der „Washington Post“ produzierten Inhalte mit seiner immer weiter ausgreifenden Verkaufsplattform Amazon verknüpfen will. Eine effektivere Vermarktungsmaschine als Amazon ist kaum denkbar. Der Online-Versender kennt dank fleißig gesammelter Daten seine Nutzer sehr genau. Neben den auf die Kundenprofile abgestimmten Buchempfehlungen könnte künftig der Verweis auf die „Washington Post“ stehen. Auch umgekehrt sind die Leser des Blatts eine lukrative Zielgruppe für Amazon.

„In 20 Jahren wird es keine gedruckte Zeitung mehr geben“

Bezos könnte für die „Washington Post“ ein solides Marktsegment suchen, so wie sie die Investorenlegende Warren Buffet Ende 2011 am anderen Ende des Tageszeitungsspektrums, auf lokaler Ebene, ins Visier genommen hat. Buffett hat in den ganzen USA kleine Zeitungen gekauft. Seither hat er noch weitere übernommen. Eine in journalistische Qualität investierende „Washington Post“ könnte das gebildete, politisch interessierte Publikum locken. Jeff Bezos scheint dieser Strategie eine Chance zu geben. Papier hat für ihn aber keine Zukunft. „In 20 Jahren wird es keine gedruckte Zeitung mehr geben“, sagte er Ende 2012 im Interview mit der „Berliner Zeitung“.