Ein Feuerball steigt auf, Hilferufe hallen über den Parkplatz – doch die Bedrohung ist inszeniert. Polizei, Feuerwehr und THW üben den Ernstfall einer Amoklage.
Ein gewaltiger Knall zerreißt die Stille. Die Druckwelle ist deutlich spürbar. Ein Feuerball steigt von einem auf der Seite liegenden Mercedes auf, leblose Körper liegen herum, Menschen schreien um Hilfe. „Helfen sie doch! Bitte. Wir sind angeschossen!“, hallt es über den Parkplatz. Polizisten in Schutzausrüstung eilen herbei. „Können sie sich bewegen?“, fragt eine Beamtin den Verletzten, der gerade noch geschrien hat. „Hilfe ist unterwegs, durchhalten“, spricht sie ihm gut zu. Dann geht sie weg.
Was auf den ersten Blick nach einem realen Amoklauf aussieht, ist in Wirklichkeit eine Übung der Polizei. Am Mittwoch hat das Polizeirevier Backnang gemeinsam mit Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und DLRG den Umgang mit einer sogenannten „lebensbedrohlichen Einsatzlage“ trainiert. Rund um die Wir-machen-Druck-Arena in Aspach (Rems-Murr-Kreis) simulierten Einsatzkräfte eine Situation, in der bewaffnete Täter gegen Menschen vorgegangen sind.
Ein Szenario, das niemand erleben möchte
Das Szenario: Ein Mann rast mit einem Auto in eine Menschenmenge, schießt auf Passanten und flüchtet Richtung Wald. Sein Ziel ist eine Blockhütte. Denn dort findet gerade eine Betriebsversammlung statt – bei dem Unternehmen, in dem er früher gearbeitet hat.
„Das sind Situationen, von denen wir uns alle wünschen, dass sie nie eintreten“, sagt Dennis Ehrhardt, der Leiter des Polizeireviers Backnang und Übungsleiter. „Aber ausschließen kann man sie nicht. Auch nicht hier in der Region.“ Eine solche Lage stellt immer eine besondere Gefahr dar – nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Einsatzkräfte.
Am Schauplatz der Heimspiele von Andrea Berg wird der Ernstfall geprobt
Die Wir-machen-Druck-Arena ist eigentlich ein Ort für Sport und Musik. Hier spielt die SG Sonnenhof Großaspach und auch die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart trägt hier ihre Heimspiele aus. Das Stadion, das Platz für rund 10.000 Menschen bietet, ist eng verbunden mit Uli Ferber.
Der Hotelier war nicht nur Initiator und langjähriger Vorstand des örtlichen Fußballvereins, sondern ist auch der Ehemann einer bekannten Persönlichkeit: die Schlagersängerin Andrea Berg, die hier jedes Jahr ihr legendäres Heimspiel-Konzert gibt. Am Wochenende wird hier gejubelt und gefeiert, doch an diesem Vormittag herrschen Anspannung und Alarmbereitschaft.
Lehren aus Amokläufen in Erfurt und Winnenden
Seit dem Amoklauf von Erfurt, bei dem ein ehemaliger Schüler am Gutenberg-Gymnasium viele Menschen tötete, setzt das Polizeipräsidium Aalen verstärkt auf Übungen dieser Art. Auch der Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009 hat den Landkreis tief geprägt: Damals richtete der 17-jährige Tim K. an der Albertville-Realschule ein Massaker an und brachte sich schließlich selbst um. 16 Menschen verloren ihr Leben.
„Ziel ist es, die Handlungssicherheit der Kräfte zu stärken und das Zusammenspiel mit Feuerwehr, Rettungsdienst und Hilfsorganisationen zu verbessern“, erklärt der Polizeisprecher Robert Kauer. Künftig soll die Übung mindestens einmal im Jahr stattfinden.
Über 170 Beteiligte und ein halbes Jahr Vorbereitung
Sabine Welte-Hauff, die Bürgermeisterin von Aspach, steht am Rand des Geschehens. Sie beobachtet die Szene aufmerksam, spricht mit den Verantwortlichen. „Es ist sehr gut, dass hier so eine Übung stattfindet“, sagt sie. „Unsere Einsatzkräfte lernen das Gelände kennen – das ist im Ernstfall unbezahlbar.“
Für die Übung sperrt die Polizei den Bereich um das Stadion weiträumig ab. Rund 180 Personen nehmen teil, darunter 60 Polizisten. „Die Gesamtkoordination eines so großen Teams ist schon eine Herausforderung für sich“, sagt Ehrhardt. Fast ein halbes Jahr habe die Vorbereitung gedauert.
Diese Organisationen waren beteiligt
- Polizeirevier Backnang
- Polizeipräsidium Aalen
- Freiwillige Feuerwehr Aspach
- Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG)
- Technisches Hilfswerk (THW)
Verletzten kann zunächst nicht geholfen werden
Vor Beginn des Szenarios wissen die Einsatzkräfte nicht, was sie erwartet. Sie müssen also spontan Entscheidungen treffen, sobald sie das Gelände betreten. Wie schwierig das sein kann, wird klar, als den Verletzten zunächst nicht geholfen wird. Minute um Minute vergeht, während sie um Hilfe schreien – doch die Polizisten gehen nur vorbei und Rettungskräfte sind nicht zu sehen.
Das habe einen einfachen, aber entscheidenden Grund: „Die Polizei muss erst das Gelände sichern. Erst dann dürfen Rettungskräfte kommen, um zu helfen. Sonst bringen sie sich selbst in Gefahr“, so Polizeisprecher Robert Kauer. „Das ist schwer auszuhalten – gerade, wenn man Schreie hört und weiß, dass man noch nicht helfen darf. Genau das muss geübt werden.“ Oberstes Ziel der Polizei sei es zudem, den Täter zu stoppen und weiteres Töten zu verhindern.
Feuerwehr übernimmt Rolle des Rettungsdienstes
Eine gute halbe Stunde nach dem Eintreffen der Polizei sind endlich die Sirenen der Feuerwehr zu hören. Das Feuerwehrauto rast heran und Männer mit Ausrüstung treten heraus. Da der Rettungsdienst kurzfristig absagen musste, übernimmt die Freiwillige Feuerwehr Aspach in der Übung die Rolle der Ersthelfer.
Kaum sind die Feuerwehrleute da, schon eilen sie zu den Verletzen. Sie sichten die Lage und entscheiden, wer zuerst behandelt wird. Ein Feuerwehrmann erklärt: „Wer am lautesten schreit, bekommt als Letzter Hilfe – denn der, der nicht schreien kann, braucht sie zuerst.“
Fazit: Das richtige Verhalten im Ernstfall ist schwierig
Nach rund eineinhalb Stunden gelingt es den Einsatzkräften, den Täter festzunehmen. Der Mann – gespielt von einer Person mit Sturmhaube – wird von zwei Polizisten abgeführt. Dass bis zur Festnahme so viel Zeit vergeht, ist laut Polizeisprecher Kauer Teil des Szenarios. Die Übung sei bewusst so angelegt worden, dass der Täter nicht sofort gefasst werden könne.
Die Verantwortlichen ziehen ein gemischtes Fazit. „Ein paar Dinge sind nicht so gelaufen, wie sie sollten – aber genau dafür ist eine Übung da“, sagt Polizeisprecher Kauer. Doch insgesamt sei das Ziel erreicht worden: Der Täter konnte festgenommen, das Gelände gesichert und der Einsatz der Rettungskräfte ermöglicht werden. Die Übung zeigt: Das richtige Verhalten im Ernstfall ist schwierig. Umso wichtiger ist es, Abläufe und Zusammenarbeit zu üben. Denn das kann über Leben und Tod entscheiden.