Der Dampf einer Spülmaschine löst die Brandmeldeanlage aus. Beim Versuch, diese wieder auszuschalten, wird im Sicherheitsraum der Volkshochschule versehentlich die Sprachalarmierungsanlage aktiviert, die im Fall eines Amoklaufs Besucher des Hauses warnen soll.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Am Morgen danach steht fest, dass der Versuch, einen Brandmelder-Fehlalarm zu stoppen, zu dem Amokfehlalarm geführt hatte. Eine Mitarbeiterin wollte den Feueralarm ausschalten, den der Dampf einer Spülmaschine ausgelöst hatte. „Dabei hat sie dann auf dem Bedienfeld der Anlagen offenbar einen falschen Schalter betätigt, und den Amokalarm ausgelöst“, sagt der Polizeisprecher Tobias Tomaszewski.

 

Die Anlage war just am Montag zum ersten Mal „scharf“ gestellt, also zum ersten Mal überhaupt funktionsfähig. Die Installation der Anlage im Treffpunkt Rotebühlplatz wurde nach einer Brandverhütungsschau im Jahr 2009 beschlossen. Damals existierte nur eine mit Handkurbel betriebene Sirene in dem Gebäude, teilt der Pressesprecher Martin Thronberens von der Stadt Stuttgart mit. Die Stadt entschied im gleichen Jahr – dem Jahr des Amoklaufs in Winnenden – alle Schulen, und damit auch die Volkshochschule, mit Sprachalarmierungsanlagen auszustatten.

Meldeanlagen sind keine Pflicht, aber für Schulen empfohlen

Eine gesetzliche Pflicht, solche Anlagen einzubauen, bestehe weder für Schulen noch für sonstige öffentliche Gebäude, erläutert der Sprecher der Stadt. Man empfehle es den Schulen jedoch, sagt der Pressesprecher Renato Gigliotti vom Innenministerium. Im Land soll es zudem Überlegungen geben, auch Finanzämter und Sozialämter mit ähnlichen Alarmsystemen auszustatten, weil dort frustrierte Klienten auch in der Vergangenheit schon gewalttätig geworden seien. In der Volkshochschule wurde sie zusammen mit der Brandmeldeanlage für insgesamt rund 650 000 Euro eingebaut, nebst automatischer Auslösung der Rauchabzüge und einer Brandfallsteuerung für die Aufzüge sowie den Lautsprechern und der Anlage für die Steuerung – an der das Missgeschick im Technikraum am Montag geschah.

Einen Tag danach klingt das fast ein bisschen unfreiwillig komisch, dass jemand aus Versehen beim Verhindern eines Fehlalarms einen noch weitreichenderen auslöst. Aber Crina-Elena Andrei ist nicht zum Lachen zumute. Sie war am Montag in der Volkshochschule. „Ich war danach so aufgeregt, dass ich eine Schlaftablette brauchte, um zur Ruhe zu kommen“, berichtet die 34-jährige Stuttgarterin. Sie habe einen Kurs in Finanzbuchhaltung besucht, der im vierten Stock stattfand. „Plötzlich kam diese Durchsage, wir sollten im Raum bleiben und die Tür blockieren – wir waren alle ganz schön panisch“, berichtet sie am Tag danach.

Dass es kein Feueralarm sein könnte, war allen schnell klar. „Bei Feuer soll man ja rausgehen und nicht im Raum bleiben und die Tür verrammeln“, schildert die Kursteilnehmerin. Etwa 20 Minuten sei die Gruppe im Raum geblieben, eine paar hätten vom Balkon aus das Treiben angeschaut. „Dann klopfte jemand von der Volkshochschule und brachte uns raus.“

Eine Augenzeugin beschwert sich über rücksichtslose Zeitgenossen

Noch einmal seien dabei die Nerven strapaziert worden: „Auf der Treppe haben sich manche echt furchtbar verhalten, gedrängelt und gestoßen, das habe ich nicht verstanden. Wir mussten doch alle raus.“ Die Polizei habe dann alle nach Hause geschickt. „Die haben das gut gemacht“, lobt Crina-Elena Andrei. Mit dieser Meinung ist sie nicht alleine: „Wir haben ein paar Dankesschreiben von Leuten bekommen, die in der Volkshochschule waren und sich gut beschützt gefühlt haben“, berichtet Polizeisprecher Tomaszewski.

Die Polizei habe den Einsatz durchgezogen, obwohl sich recht früh angedeutet habe, dass es ein Fehlalarm sein könnte. „Es kamen keine Notrufe aus dem Gebäude, die Kollegen hörten auch keine verdächtigen Geräusche oder Schreie. Trotzdem: Mann weiß ja nicht, ob sich nicht doch noch irgendwo ein Täter versteckt“, sagt der Polizeisprecher Tomaszewski. Deswegen sei Stück für Stück das Gebäude geräumt worden. Zunächst habe man nicht von einem Fehlalarm durch einen Bedienungsfehler ausgehen können. Denn wenn jemand an der Alarmanlage arbeitet, weiß die Polizei normalerweise Bescheid. „Techniker melden es an, wenn sie vorhaben, an der Anlage etwas zu machen, was einen Alarm auslösen könnte“, sagt der Polizeisprecher. Eine solche Meldung von der Volkshochschule habe am Montag aber nicht vorgelegen.

Rund 130 Beamte waren im Einsatz. „Wer in der Nähe ist, der kommt. Die ersten zwei Streifen gehen rein“, lautet die Strategie. Das sei eine Lehre, die man aus dem Amoklauf an der Columbine Highschool im Jahr 1999 gezogen habe. Damals sei das Gelände abgesperrt worden und die örtliche Polizei habe auf Spezialkräfte gewartet. Die Täter mordeten eine halbe Stunde lang ungestört in dem Schulgebäude. Das Training für den Ernstfall eines Amoklaufs gehört schon lange zur Polizeiausbildung. Seit dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Dazu zählen Meldeanlagen, wie sie seit Montag in der Volkshochschule aktiv ist.

Ähnliche Fehlalarme waren im Jahr 2013 an der Feuerbacher Schule für Farbe und Gestaltung vorgefallen. Techniker arbeiteten an den Anlagen und lösten die Durchsagen aus. Damals wurde die Regelung eingeführt, dass die Wartungsarbeiten möglichst außerhalb der Unterrichtszeiten laufen sollen und die Firmen – in Stuttgart ist das die Netze BW – sich vorher bei der Polizei anmelden sollen, falls sie aus Versehen an den falschen Schalter kommen.