Der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen am 11. März 2009 hat viele Menschen traumatisiert, sie leiden bis heute unter den Folgen des Massakers. Im Stadtpark steht jetzt ein Mahnmal. Dort wird am Dienstag der Opfer gedacht.

Winnenden - „Es ist eine schlichte Form mit großer Aussagekraft.“ Der Grünen-Stadtrat Martin Oßwald-Parlow hat im schon vergangenen September auf den Punkt gebracht, was viele jetzt beim Anblick der acht Tonnen schweren Skulptur „Gebrochener Ring“ des Bildhauers Martin Schöneich empfinden. Seit der vergangenen Woche steht sie im Stadtgarten vor der Stadthalle in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Der metallene Ring mit einer schmalen Öffnung symbolisiert den Bruch im Leben, den der Amoklauf an der Albertville-Realschule für viele Menschen bedeutet: für die Angehörigen der Ermordeten, für die Verletzten, für die Schüler und Lehrer, die das Massaker unmittelbar miterleben mussten, und für die Helfer der Feuerwehr, des Roten Kreuzes und der Polizei, die mit einer psychischen Belastung konfrontiert wurden, die jegliche Vorstellung weit übersteigt.

 

Vor fünf Jahren, am 11. März 2009, ist der 17-jährige Tim K. mit Waffen, die er im Haus seiner Eltern gefunden hatte, in die Winnender Albertville-Realschule eingedrungen und hat auf Kinder und Lehrer geschossen. Sein Amoklauf und die Verfolgungsjagd, die sich der Täter mit der Polizei lieferte, dauerten dreieinhalb Stunden. Am Ende waren 16 Menschen tot, auch Tim K., elf weitere waren zum Teil schwer verletzt.

Mit einem Meteoriteneinschlag vergleicht die Ludwigsburger Psychiaterin Luise Hepp die traumatischen Erfahrungen, die alle Beteiligten und ihre Angehörigen damals gemacht haben. Sie betreut seit der Tat Opfer des Amoklaufs. In dem Dokumentarfilm „Amok in Winnenden – Das Leben danach“, der in der vergangenen Woche auf 3Sat zu sehen war, sagt sie, dass sich dadurch auch ihre Praxis verändert habe. Folgen einer solchen Katastrophe könnten auch noch nach Jahren auftreten, selbst bei Menschen, die scheinbar genügend Kräfte mobilisieren, um das Erlebte zu bewältigen.

Die meisten suchen professionelle Hilfe

Fünf Jahre sind keine Zeit für jemanden, der erlebt hat, wie neben ihm Mitschüler ermordet wurden. Einer der Augenzeugen, der ebenfalls in dem Film zu Wort kommt, hat auch an dem Buch „Die Kinder von Winnenden“ mitgewirkt. Er habe zuerst gedacht, er könne allein mit der Situation umgehen. „Ich bin dann doch zu den Psychologen gegangen“, sagt er. Das sei die richtige Entscheidung gewesen. Denn die Fachleute brachten dem Traumatisierten Techniken bei, mit denen man Ängste und Bilder regelrecht wegschließen kann.

„Dort konnten wir reden und wurden verstanden“, sagte Jürgen Marx, dessen 15-jährige Tochter Selina zu den Opfern gehört, während eines Abends des Arbeitskreises Christlicher Kirchen in der Albertville-Realschule. Auch er und seine Familie hatten zuerst gedacht, alleine mit der Trauer fertig zu werden. Ein Irrtum, wie er heute sagt.

Barbara Nalepa, die ihre Tochter Nicole verloren hat, beschrieb die Sprachlosigkeit, die ihre Familie erfasst hatte. Das sei eine der fatalen Folgen solch traumatischer Erlebnisse, erklärte der Trauma-therapeut Jonas Helbig, der in den Jahren nach der Tat in Winnenden gearbeitet hat. „Es ist wie ein Loch, das ins Leben gerissen wird und das das Sprechen verhindert.“ In den Monaten nach dem 11. März hätte sie beinahe ihre Familie verloren, beschrieb Barbara Nalepa die Situation. Aber auch, dass ihr schlagartig bewusst geworden sei, wie sehr ihre jüngeren Kinder sie brauchten.

„Du denkst ja nicht, dass dein Kind vor die stirbt“

„Wir haben uns das nicht ausgesucht. Wir wurden ja in diese Situation hineingeschmissen“, sagt Hardy Schober vom Aktionsbündnis Amoklauf, dessen 15-jährige Tochter Jana am 11. März 2009 in der Albertville-Realschule ums Leben kam. „Du denkst ja nicht, dass dein Kind vor dir stirbt. Schon gar nicht, dass es in der Schule getötet wird“, sagt der Mann, der nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten konnte. Das Engagement im Aktionsbündnis sei für ihn lebenswichtig, sagt Hardy Schober.

Manchen Menschen scheint bis heute nicht klar zu sein, was die Betroffenen aushalten mussten und bis heute müssen. „Irgendwann muss es mal gut sein mit dem Trauern“, ist ein Satz, den einige von ihnen zu hören bekamen. Aber: „Es ist etwas anderes, wenn man einen Menschen durch solch eine Tat verliert.“