In einer Woche zieht die Winnender Schule wieder in das Gebäude ein, das am 11. März 2009 Schauplatz des Amoklaufs wurde.  

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - "Ich liebe dich." Verziert mit einem Herzchen prangt die Gefühlsaufwallung eines Teenagers auf einem breiten Fensterrahmen im Untergeschoss der Albertville-Realschule. Die Liebeserklärung, mit der sich hier ein Schüler vor dem 11. März 2009 verewigt hat, hat die grundlegende Sanierung der Schule überstanden. Sichtbare Spuren des Amoklaufs, der an jenem Tag in dem Gebäude am Rand der schwäbischen Kleinstadt zwölf Menschen das Leben gekostet hat, sind allerdings gründlich getilgt worden.

 

Wenn die Schüler und ihre Lehrer in zehn Tagen wieder hier einziehen, erwartet sie ein helles, freundliches Gebäude. Mit Absicht unterscheidet es sich jedoch nicht allzu sehr von dervertrauten Schule, deren Bild die Hälfte der Rückkehrer noch vor Augen hat. Wer nicht weiß, was hier geschehen ist, erlebt lediglich eine moderne, auf den neuesten Stand der Gebäudetechnik gebrachte Schule.

Ein Flügel verdeckt den alten Teil der Schule

Von außen betrachtet, hat sich der Anblick der Albertville-Realschule, wie ihn die Welt seit dem Amoklauf kennt, allerdings grundlegend geändert. Ein neuer Flügel, der vor das bestehende Gebäude gesetzt worden ist, verdeckt den alten Teil der Schule. Lediglich eine markante große Uhr an der Fassade gibt einen Anhaltspunkt, wo Neu und Alt aufeinanderstoßen. Helles Holz wurde als Verkleidung für den zweistöckigen Anbau gewählt, in dem auf 200 Quadratmeter Fläche das Lehrerzimmer und die Verwaltung untergebracht sind. 6,2 Millionen Euro hat die Sanierung und Umgestaltung gekostet. Der Plan, der Albertville-Realschule eine neues Gesicht zu geben, ist aufgegangen.

"Es stand bereits einen Monat nach dem Amoklauf fest, dass die Schule wieder in ihr altes Gebäude zurückkehren wollte", sagt Hartmut Holzwarth, der Winnender Oberbürgermeister. Sein Vorgänger Bernhard Fritz hatte im April 2009 einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, dem Lehrer, Eltern, Schüler, Psychologen und Verwaltungsfachleute angehören. "Der Name wurde Programm: Arbeitskreis Rückkehr", sagt Holzwarth, der seit Frühjahr 2010 im Amt ist.

"Selbst wenn es die Mittel erlaubt hätten, wäre ein völliger Neuanfang in einem anderen Gebäude oder in einem Neubau die falsche Entscheidung gewesen", ergänzt der Schulpsychologe Peter Heinrich. "Das muss man sich wie eine Rückeroberung vorstellen. Man lässt sich das vertraute Gebäude nicht von einem Gewalttäter wegnehmen." Aus diesem Grund sei eine radikale Umgestaltung des Hauses nicht sinnvoll. So sieht es auch der Schulleiter Sven Kubick: "Wir wollen ein positives Zeichen setzen: Wir kehren heim. Die Vorfreude darauf ist ziemlich groß."

An den Tatorten wird kein Unterricht mehr stattfinden

Damit die Heimkehr den rund 640 Schülern und 50 Lehrern gelingt, begleiten Schulpsychologen diesen Prozess. "Es gibt noch ein paar wenige Schüler, die Probleme haben. Diese hatten sie allerdings bereits vor dem Amoklauf, durch eine schwierige Lebenssituation", sagt Heinrich. Er und seine Kollegen werden noch bis zum Herbst, eventuell bis Weihnachten in der Schule als Ansprechpartner bereitstehen, dann wollen sie sich zurückziehen. "Wir halten uns bewusst im Hintergrund. Die Lehrer sind die maßgeblichen Vertrauenspersonen für die Schüler." Aus diesem Grund hätten er und seine Kollegen hauptsächlich die Lehrer auf die Rückkehr vorbereitet.

Der erste Schultag wird behutsam angegangen. Nach einem Gottesdienst werden sich Schüler und Lehrer in der neuen Aula versammeln. Ein Innenhof ist dafür im Zuge des Umbaus überdacht worden. Danach werden die 24 Klassen zusammen mit ihren Klassenlehrern in ihre Räume gehen. "Während der ersten Woche werden die Klassen ausschließlich mit ihren Klassenlehrern zusammen sein", sagt Kubick. Für die Klassenstufen acht bis zehn bedeute der Einzug die Rückkehr in ein vertrautes Gebäude, für die jüngeren Schüler ist der Bau neu. Für sie bestand die Albertville-Realschule aus einem provisorischen Containergebäude auf einem nahen Sportplatz.

Alle Zimmer haben einen Schließmechanismus

In den drei Klassenzimmern, die während des Amoklaufs zu Tatorten wurden, wird nach der Rückkehr kein Unterricht mehr stattfinden. "Niemand wird gezwungen sein hineinzugehen", sagt Kubick. In einem der Räume gestalten Eltern der ermordeten Jugendlichen zusammen mit Schülern und Lehrern einen Andachtsraum. Ein weiteres Zimmer wird in Zukunft die Schülerfirma der Albertville-Realschule beherbergen, im dritten Raum soll eine Schulbibliothek eingerichtet werden.

Das Sicherheitskonzept, das für die Schule entwickelt wurde, wird mittlerweile vom Städtetag empfohlen. "Es macht keinen Sinn, schwere schusssichere Türen einzubauen, in denen sich die Kinder die Finger quetschen", erklärt der Erste Bürgermeister Norbert Sailer, weshalb auf solche Türen verzichtet worden ist. Der Amokschütze hatte mit einer großkalibrigen Pistole geschossen, deren Projektile eine Tür durchschlagen und eine Lehrerin dahinter tödlich verletzt hatten. Allerdings sind alle Klassenzimmer mit einem Schließmechanismus versehen, den man von Hotelzimmern kennt. Von innen kann die Tür so verriegelt werden, dass niemand mehr hineinkann. "Die Lehrer haben elektronische Schlüssel, mit denen sie wieder öffnen können", so Sailer.

"Ich habe einen Traum", steht haushoch an einer Wand der Aula. Das Motto der Albertville-Realschule ist seit der Trauerfeier für die Ermordeten weit über Winnenden hinaus bekannt geworden. Das Zitat des Bürgerrechtlers Martin Luther King wurde von der Schule gewählt, weil es auf die Zukunft verweist. Der Amoklauf soll nicht verdrängt werden, er soll das Leben der Betroffenen aber auch nicht für immer beherrschen. Mit der Rückkehr in die Albertville-Realschule wird ein weiterer, vielleicht der wichtigste Schritt dahin gemacht.

Der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen

Täter: Der 17-jährige Tim K. war ein ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule. Bewaffnet mit einer Pistole seines Vaters drang er am Morgen des 11. März 2009 in die Winnender Schule ein und tötete dort acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen.

Flucht: Nachdem er aus der Schule entkommen war und einen Angestellten der Klinik Winnenden im angrenzenden Schlosspark erschossen hatte, zwang Tim K. einen Autofahrer, ihn mitzunehmen. Nach einer Irrfahrt durch die Region Stuttgart konnte der Mann bei Wendlingen seinem Entführer entkommen.

Selbstmord: Von der Polizei gestellt, erschoss sich der 17-Jährige selbst. Zuvor hatte er noch einen Angestellten und einen Kunden eines Wendlinger Autohauses getötet.