Von Mitte November an muss sich der Vater des Amokläufers von Winnenden ein zweites Mal wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung vor Gericht verantworten. Im Revisionsverfahren wird das Geschehen am Tattag aber nicht noch einmal aufgerollt.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Winnenden - Das bundesweit erste Verfahren gegen Angehörige eines Amokläufers muss in Teilen neu aufgerollt werden. Der Vater von Tim K. aus Winnenden ist vom 14. November an am Landgericht in Stuttgart erneut wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt. Tim K. hatte das Blutbad mit einer Pistole angerichtet, die sein Vater unverschlossen in seinem Kleiderschrank aufbewahrte.

 

Der 53-jährige Vater war bereits im Februar 2011 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Doch auf Antrag der Verteidiger des Mannes kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) wegen eines Formfehlers einen Teil des Beschlusses. Die zentrale Kritik zielte auf den Umgang mit einer Zeugin.

Konfusion bei Zeugenvernehmung

Nach dem Amoklauf vom 11. März 2009, bei dem der 15 Jahre alte Tim K. an der Albertville-Realschule in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) und in Wendlingen (Kreis Esslingen) 15 Menschen und zuletzt sich selbst erschossen und weitere 14 Personen verletzt hatte, nahm sich eine ehrenamtliche Betreuerin den traumatisierten engsten Angehörigen des Todesschützen an. Eine Frage, die die Richter klären wollten, lautete, ob der Vater von den massiven psychischen Problemen wusste, unter denen sein Sohn litt. Und als Zeugin belastete die Betreuerin den angeklagten Vater.Die Eltern hätten die Tötungsfantasien des Sohnes gekannt. Denn die Therapeuten einer Jugendpsychiatrie, in der Tim K. mehrmals zu Sitzungen gewesen war, hätten den Vater und die Mutter darüber informiert. Doch bei der Fortsetzung der Vernehmung nahm die Betreuerin die Anschuldigung zurück – woraufhin ihr die Staatsanwaltschaft mit einem Verfahren wegen Strafvereitelung drohte. Daraufhin bestätigte die Frau doch die erste Aussage – und berief sich danach auf ihr vermeintliches Aussageverweigerungsrecht – das die Richter der Frau prompt einräumten.

Geschehen am Amoktag wird nicht neu aufgerollt

Nun stellte der Bundesgerichtshof fest, dass die Frau dieses Recht gar nicht hatte. Zudem hätten damit auch die Verteidiger des Vaters von Tim K. keine Möglichkeit bekommen, die Frau als Zeugin zu vernehmen. Und genau dies ist der zentrale Punkt, warum dem Revisionsantrag der Verteidiger stattgegeben wurde.Im zweiten Prozess gegen den Vater von Tim K. wird nicht der gesamte Prozess neu aufgerollt. Unter anderem entschied der BGH, dass das Geschehen rund um den Amoktag nicht neu aufgearbeitet werden muss. Hingegen soll auch die Betreuerin der Familie, die im ersten Prozess ausgesagt hat, erneut gehört werden.

15 Verhandlungstage sind bis Ende Januar angesetzt. Bisher sind 17 Zeugen geladen. Prozessbeobachter rechnen mit einer erneuten Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Das hatte auch der BGH in seiner Entscheidung erklärt: Allein der Verstoß gegen die waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten könnte den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen – unabhängig davon, ob der Vater von den psychischen Problemen des Sohnes gewusst hat.

Auswirkungen auf Forderungen bei Zivilprozess?

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung wäre indes wegweisend für spätere Zivilprozesse. Auch die Stadt Winnenden fordert weiterhin 14 Millionen Euro Schadensersatz, der vor allem vom Umbau der Albertville-Realschule herrührt.