Florian Bollacher leitet nun das Backnanger Amtsgericht. Der 48-Jährige folgt auf Anne Harrschar, die nach Ludwigsburg gewechselt ist. Die Digitalisierung verändert auch seine Tätigkeit spürbar.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Beinahe wäre Florian Bollacher Bauingenieur geworden. Doch als der junge Student mit einem Freund spontan eine Jura-Vorlesung besuchte, war es um ihn geschehen: „Ich wusste sofort, das passt“, erinnert sich Bollacher. Er wechselte von Karlsruhe nach Konstanz, schrieb sich dort für die Rechtswissenschaften ein und begann seine Laufbahn als Jurist. Das war 1996.

 

Ein Kenner der Gerichtswelt

27 Jahre später. Bollacher hat promoviert, ist Richter und kennt die Gerichtswelt in Stuttgart aus dem Effeff. Nach seinem Referendariat arbeitete er unter anderem bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart in der Wirtschaftsabteilung, war an den Amtsgerichten in Waiblingen und Ludwigsburg sowie am Landgericht und Oberlandesgericht in Stuttgart als Richter tätig. Zuletzt gestaltete er von 2019 bis 2022 als stellvertretender Direktor die Geschicke des Amtsgerichts in Bad Cannstatt mit, wo Verwaltungsaufgaben hinzukamen. Eine gute Vorbereitung für den Chefposten am Amtsgericht Backnang.

Auch Besuche im Pflegeheim gehören dazu

Vor wenigen Wochen hat der 48-Jährige die Nachfolge von Anne Harrschar, die nun Leiterin des Amtsgerichts Ludwigsburg ist, angetreten. Er ist als Direktor für die rund 40 Mitarbeiter sowie sechs Richterinnen und Richter zuständig. „Ich habe mich in der recht kurzen Zeit schon ganz gut eingelebt und hatte gute Gespräche“, sagt Bollacher. Er schätzt „die gute Atmosphäre, den Zusammenhalt und den Teamgeist“ im Gerichtsgebäude am Stiftshof. „Man hilft sich gegenseitig, zum Beispiel, wenn es um Vertretungen im Krankheitsfall geht“, sagt Bollacher.

Neben den Verwaltungsaufgaben, die zu seiner Funktion als Direktor gehören, ist Bollacher weiterhin als Richter tätig. Schwerpunkte sind das Strafrecht, insbesondere die Tätigkeit als Jugendrichter sowie das Betreuungsrecht. Dazu muss er, wenn es etwa um Unterbringungsfragen geht, häufig zu Anhörungen in Pflegeheime und andere Betreuungseinrichtungen fahren. „Die Betroffenen können teilweise nicht zum Gericht kommen, etwa wenn sie in geschlossenen Einrichtungen untergebracht sind.“ An seiner Arbeit als Richter schätzt er besonders, dass er sich „nicht von Fremdinteressen“ leiten lassen muss, wie das mitunter bei Anwälten der Fall sei. „Ich kann offen und unbefangen an die Falllage herantreten, mich mit der gebotenen Skepsis von allen Seiten informieren und mir dann gründlich mein Urteil bilden.“ Sich aus einer großen Menge an Akten und Fülle an Fakten möglichst schnell und verlässlich einen Überblick zu verschaffen, sei eine unerlässliche Fertigkeit, die im Beruf vonnöten sei.

Die E-Akte verändert das Arbeiten

Zur Erleichterung der Arbeit an Gerichten wurde im vergangenen Jahr die Elektronische Akte eingeführt, auch in Backnang. „Wir arbeiten seit September mit der E-Akte, das ist schon eine Umstellung.“ Keine Aktenberge mehr, keine farbigen Textmarker im Einsatz, keine Klebezettel und keine Eselsohren, die erahnen lassen, durch wie viele Hände Unterlagen schon gegangen sind. Ein bisschen schade sei das vielleicht, aber die Vorteile der digitalisierten Unterlagen lägen auf der Hand: Sie sparen Platz, Papier und Geld. E-Akten könnten beispielsweise nun in Sekundenschnelle versendet werden.

Menschliche Schicksale berühren

Früher habe man mit einem Blick ins Postfach oder auf den Aktenstapel am Schreibtisch erkennen können, was der Tag bringe. Heute versteckten sich hinter einem simplen Dateinamen schon mal Terabytes an Informationsvolumina. „Das sind teilweise riesige Datenmengen, die da zusammengetragen werden, insbesondere in großen Wirtschaftsverfahren“, sagt Bollacher. Nachgelassen habe die Anzahl an Fällen in jüngster Vergangenheit gleichwohl nicht. Aber „die Arbeit macht Spaß, auch wenn man viele menschliche Schicksale mitbekommt“.

Dem Vater dreier Kinder, der mit einer Richterin verheiratet ist, bleibt wenig Zeit für Hobbys. Beim Württembergischen Fußballverband engagiert er sich ehrenamtlich im Vorstand. Zum Joggen kommt Bollacher selten. Und wie gut sein Klavierspiel klingt, mit dem er kürzlich angefangen hat, können wohl nur Eingeweihte beurteilen – angesichts seines hohen Arbeitsaufwandes wird ihm der geneigte Zuhörer sicherlich eines gewähren: mildernde Umstände.