Ein 84 Jahre alter Mann ist im November 2016 gestorben, nachdem ihn in Waldenbuch ein Müllauto überrollt hatte. Jetzt stand dessen Fahrer vor Gericht.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Er konnte den Mann nicht sehen, und der 84-Jährige konnte den Müllwagen nicht hören: Am 2. November 2016 hat ein Müllautofahrer in Waldenbuch (Kreis Böblingen) einen Mann überrollt, das Opfer starb sofort. Am Amtsgericht Böblingen war der 58 Jahre alte Mitarbeiter des kreiseigenen Abfallwirtschaftsbetriebs (AWB) am Mittwoch wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Er ist zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt worden. „Unglückliche Umstände haben zu dem Unfall geführt“, sagte der Vorsitzende Richter. Allerdings habe der Berufskraftfahrer ganz klar seine Sorgfaltspflicht verletzt. Auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe verzichtete er jedoch: Dies sei als Einwirkung auf den bislang völlig unbescholtenen Angeklagten nicht nötig.

 

Als der 58-Jährige rückwärts mit dem Müllwagen in den Mühlhaldenweg einfuhr, machte er nach Ansicht des Richters und des Staatsanwalts einen großen Fehler: Er benutzte ausschließlich die Außenspiegel. „Es war ein Blindflug, der zum Tode eines Menschen geführt hat“, erklärte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Denn was hinter dem Müllwagen passierte, konnte der Angeklagte nicht sehen. Und deshalb hätte er sich von seinem Kollegen einweisen lassen oder wenigstens auf den Bildschirm der Sicherheitskamera am Heck des Autos schauen müssen. Stattdessen habe er sich in trügerischer Sicherheit gewogen, kritisierte der Richter. Bis zu dem tödlichen Unfall war das Einweisen bei Rückwärtsfahrten nicht vorgeschrieben. Und weil die Fahrzeuge laute Piepgeräusche dabei machen, wäre der Müllwagenfahrer davon ausgegangen, dass er gehört wird.

„Dann war ich im Schock“

Der 84 Jahre alte Anwohner war aber sehr schwerhörig. Er war an dem Vormittag zu Fuß auf dem Weg zum Zahnarzt gewesen. Weil es am Mühlhaldenweg keinen Gehweg gibt, ging er mitten auf der Straße. „Er hat gar nicht reagiert“, sagte eine Zeugin. Das Müllauto näherte sich dem Senior von hinten mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Stundenkilometer. Die Frau schaute zum Fenster hinaus, weil sie die Piepgeräusche gehört hatte und sicherstellen wollte, dass ihr Umzugswagen nicht im Weg stand. „Gleich passiert etwas Schlimmes“, habe sie erkannt, „dann war ich im Schock.“ Die Zeit habe nicht einmal gereicht, das Fenster aufzureißen und zu schreien. Der Angeklagte hatte sich darauf konzentriert, zwischen dem Umzugstransporter und einem Stromkasten auf der anderen Straßenseite durchzukommen. Bei dem Aufprall dachte er, er sei gegen eines dieser Hindernisse gestoßen. Erst als er ausstieg, sah er den 84-Jährigen: Sein Kopf war unter ein Hinterrad geraten.

Seit 15 Jahren ist der Angeklagte für den AWB als Fahrer unterwegs, mehr als 30.000 Kilometer legt er jährlich im Müllwagen zurück. Dabei hat er sich noch nie etwas zu schulden kommen lassen – weder eine Geschwindigkeitsübertretung noch ist er jemals über eine rote Ampel gefahren. Seit dem Unfall saß er nur als Beifahrer im Müllwagen. Sein Arbeitgeber wollte den Ausgang des Verfahrens abwarten, bevor er wieder ans Steuer darf. Der Mann leidet auch noch an posttraumatischen Störungen, kann nicht einschlafen, hat Kopfschmerzen, grübelt viel. „Für ihn ist es nie wieder gutzumachen“, sagte sein Anwalt. Der Witwe und ihrer Familie schickte er ein Beileidsschreiben. Sie wünschte ihm in ihrer Antwort, dass er das Geschehen verarbeiten kann. „Ich mache niemand einen Vorwurf“, sagte auch die als Zeugin geladene Schwiegertochter.

Seinen Führerschein darf der 59-Jährige behalten

Das Unfallopfer befand sich vermutlich von Anfang an im toten Winkel des Fahrers. Etwa vier Sekunden lang war der Rentner im Display der Heckkamera zu sehen. Bei ständigem Blickwechsel zwischen den Außenspiegeln und dem Bildschirm hätte der Angeklagte den Mann rechtzeitig entdecken können, erklärte der Gutachter. Mit einem Einweiser wäre es nicht zu dem Unfall gekommen. Der Beifahrer war aber damit beschäftigt, Unterlagen zu neuen Containerstandorten zu lesen. Mittlerweile ist es Vorschrift beim AWB, dass auch immer ein Kollege von außen die Rückwärtsfahrt überwacht. „Wenn das die Folge ist, hat es etwas gebracht“, sagte der Staatsanwalt.

Der 59-Jährige hofft, eines Tages wieder einen Müllwagen fahren zu dürfen. Seinen Führerschein darf er behalten, schließlich war er weder betrunken noch zu schnell unterwegs. „Er wird nach wie vor in der Lage sein, ein Fahrzeug sicher zu führen“, befand der Staatsanwalt.