Ein 60-jähriger Sindelfinger hat sich von verschiedenen Ärzten mehr als 900 sehr starke Schmerzpflaster verschreiben lassen und viele davon verkauft.

Böblingen - Der Betrug wurde dem Mann ziemlich leicht gemacht. Zwischen Januar 2014 und April 2016 suchte der 60-jährige Sindelfinger geschlagene 41 Mal verschiedene Arztpraxen in Böblingen und Sindelfingen auf und ließ sich starke Schmerzmittel – mit dem Wirkstoff Fentanyl versehene Pflaster – verschreiben. Weder bei seiner Krankenkasse, die die Kosten in Höhe von rund 12 000 Euro bezahlte, noch in den Arztpraxen wurde jemand misstrauisch – obwohl der Mann teilweise in kurzer Zeit sehr viele der hoch dosierten Pflaster erhielt.

 

„Es gab kein Korrektiv, weder bei den Ärzten, noch bei den Krankenkassen“, kritisierte denn auch Werner Kömpf, der Richter am Böblinger Amtsgericht. Dort musste sich der 60-jährige Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Betrugs und gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verantworten. „Das hätte auffallen müssen“, sagte Kömpf. Von einem regelrechten „Rezepttourismus“ und einem „Ärztekarussell“ war die Rede. Wie „Smarties“ hätte ihr Mandant die hoch wirksamen Pflaster erhalten, betonte sogar dessen Verteidigerin Margrete Haimayer.

Fentanyl wirkt ähnlich wie Heroin

Nach der Überzeugung des Gerichts nutzte der Mann, der nach mehreren Unfällen und Operationen auch nach Ansicht eines Sachverständigen unter chronischen Schmerzen leidet und deshalb vom Prinzip her zu Recht Schmerzmittel verschrieben bekam, einen Großteil der mehr als 900 Pflaster nicht für sich, sondern verkaufte sie weiter. Fentanyl ist unter Drogenabhängigen sehr gefragt, da es ähnlich wie Heroin, jedoch deutlich stärker wirkt. Die Gefahr, von Fentanyl abhängig zu werden, ist allerdings auch um ein Vielfaches höher. Süchtige kauen die Schmerzpflaster oder kochen den Wirkstoff, ein hochwirksames, synthetisches Opiat, aus, um ihn sich zu spritzen. Manche durchsuchen wohl auch Krankenhausabfälle nach gebrauchten Pflastern, um daraus Wirkstoffreste zu gewinnen. Eine Überdosis Fentanyl kann zunächst zum Atemstillstand und dann zum Tod führen. Der Name des Wirkstoffs fällt auch immer wieder im Zusammenhang mit prominenten Todesfällen, darunter beispielsweise die beiden Musiker Prince und Tom Petty.

Der Angeklagte, der in der Vergangenheit als Metzger gearbeitet hatte und jetzt arbeitssuchend ist, hat vor Gericht gestanden, die Rezepte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erhalten zu haben. Allerdings bestritt er, mit den Pflastern Reibach gemacht zu haben. Vielmehr habe er sie für einen Freund besorgt, der an Krebs gelitten, aus ihm unbekannten Gründen aber keine Schmerzmittel verschrieben bekommen habe.

Bekannter brachte Anklage erst ins Rollen

Geld will der Angeklagte für seine Dienste nicht verlangt haben. Im Sterncenter und in einer Gaststätte habe er dem kranken Freund die Pflaster übergeben. Dafür habe er mal Zigaretten bekommen, mal habe sein Bekannter, der mittlerweile verstorben sei, die Zeche in einer Kneipe bezahlt.

Der Richter glaubte dem unter anderem wegen Betruges, Körperverletzung und Bedrohung mehrfach vorbestraften Mann die Geschichte vom kranken Freund allerdings nicht. Ein so schwer erkrankter Patient würde definitiv Schmerzmittel von seinem Arzt erhalten, soKömpf. Außerdem hatte ein Bekannter des Angeklagten, mit dem dieser im Clinch liegt und der den Prozess durch seine Aussage bei der Polizei überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, ausgesagt, ihn bei der Übergabe der Pflaster an einen Unbekannten beobachtet zu haben. Außerdem soll der Angeklagte ihm gegenüber von deren Verkauf gesprochen haben.

Das Gericht verurteilte den 60-Jährigen schließlich zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung. Vom Tisch ist das Schmerzmittel-Problem im Kreis damit aber nicht, denn Richter Kömpf sind weitere, ähnliche Fälle bereits untergekommen, einer steht demnächst zur Verhandlung an.