Vor vier Jahren reiste der heute 54-Jährige mit seinem Sohn in die Türkei – und brachte ihn nie mehr zurück. Dafür muss der Mann jetzt ins Gefängnis.

Böblingen - Der Angeklagte erscheint in Anzug und Krawatte, drückt sich in seinen Aussagen zwar weitschweifig, aber gewählt aus und macht auch sonst nicht den Eindruck, ein unbeherrschter, gewalttätiger Mensch zu sein. Doch was vor dem Böblinger Amtsgericht am Mittwoch zur Sprache kam, straft diesen Eindruck Lügen. Denn Berkan T. (alle Namen von der Redaktion geändert), der eine Zeit lang in Holzgerlingen gelebt hat, hat nach Ansicht des Schöffengerichts vor mehr als vier Jahren seinen Sohn in die Türkei entführt und seitdem von dessen Mutter ferngehalten. Außerdem hat er eine beachtliche Liste an einschlägigen Vorstrafen, bei denen einem die Haare zu Berge stehen.

 

Im Februar 2014 war T., der derzeit in Untersuchungshaft sitzt, mit seinem damals neun Jahre alten Sohn in seine Heimat, die Türkei, geflogen. Der Junge, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft hat, sollte dort eine Woche Urlaub machen, um sich von den Streitigkeiten zwischen seinen Eltern zu erholen. Deren Ehe war zu diesem Zeitpunkt bereits zerrüttet, aber noch nicht geschieden. Seine damalige Ehefrau Hatice T., die ebenfalls aus der Türkei stammt, stimmte der Reise zu, da der heute 54-jährige Angeklagte ihr sowohl Hin- als auch Rückflugticket für das Kind gezeigt hatte. „Ich hatte geglaubt, er bringt ihn zurück“, sagt sie heute. Den Rückflug sollte das Kind jedoch nie antreten, der Kontakt zur heute 34-jährigen Mutter ist weitestgehend abgebrochen. Der Junge lebt bei seiner Großmutter väterlicherseits. Hatice T. leidet seither unter psychischen Problemen. „Ihr ist das Schlimmste passiert, was einer Mutter überhaupt passieren kann“, sagte ihre Anwältin, Sibel Yüksel.

„Ich habe hier alles aufgegeben für ihn“

Fest steht: die Ehe der T.s war zum Zeitpunkt der Reise schon lange nicht mehr harmonisch. Hatice T. war vor ihrem Mann in ein Frauenhaus geflüchtet, nachdem Berkan T., der eine illegale Schusswaffe besaß, sie und ihre Familie bedroht hatte, wie sie vor Gericht berichtete. Außerdem habe er immer wieder angedeutet, ihr das Kind wegnehmen zu wollen. Sie hatte sogar ein gerichtliches Annäherungsverbot erwirkt. Ihr Ex-Mann dagegen spricht von seiner Enttäuschung, dass Hatice T. sich nie so richtig für die schulische Karriere des angeblich hochbegabten Kindes interessiert habe. Außerdem habe er damals herausgefunden, dass sie eine Beziehung zu einem anderen Mann gehabt habe. Eine Affäre wirft Hatice T. auch ihrem Ex-Mann vor.

Wieso er seinen Sohn entführt habe, wollte der Vorsitzende Richter Werner Kömpf vom Angeklagten wissen. Es sei ihm um das Wohl des Kindes gegangen, antwortete Berkan T.. Einerseits habe er Sorgen gehabt, die Mutter werde den Jungen schulisch nicht fördern, andererseits habe er ihn nicht bei dem Geliebten seiner Frau aufwachsen sehen wollen. „Ich habe hier alles aufgegeben für ihn.“

Wegen Vergewaltigung vorbestraft

In weitschweifigen Monologen berichtete T. dann vom Leben seines Sohnes in der Türkei, dass er dort auf eine Privatschule gehe und später mal in Harvard oder Cambridge studieren werde. „Er ist sehr glücklich in der Türkei.“ Außerdem habe sich seine Ex-Frau in den Jahren seit der Entführung nie um den Kontakt zum gemeinsamen Kind bemüht – was die Frau bestreitet. Unter dem Einfluss der Familie ihres Ex-Mannes habe sich das Kind nun von ihr abgewandt.

Den Beteuerungen, es sei ihm nur um seinen Sohn gegangen, glaubte der Richter Kömpf dem Angeklagten nicht – auch weil dessen Vorstrafen ein anderes Bild von ihm zeichnen. So ist der 54-Jährige unter anderem wegen Nötigung, Hausfriedensbruch und Vergewaltigung verurteilt worden. Letzteres tat er seiner ersten Ehefrau an, mit der er drei Kinder hat. Auch eines dieser Kinder hatte er ohne das Wissen und gegen den Willen der Mutter in die Türkei gebracht, war dann allerdings schließlich doch mit ihm nach Deutschland zurückgekehrt.

Schließlich verurteilte das Gericht Berkan T. wegen Entziehung Minderjähriger zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Mit der Entführung habe er seine Macht beweisen wollen, „er ist der Bestimmer“, so Kömpf. Das Kind hätte ja auch in Deutschland eine gute Schule besuchen können. Die Auswirkungen der Entführung auf den Jungen seien noch nicht abzusehen. Kömpf regte eine Einigung vor einem Familiengericht an, das Kind bleibt vorerst in der Türkei. Berkan T. will Rechtsmittel einlegen.