Die Neuordnung des Nachlass- und Betreuungswesens in Baden-Württemberg zieht im Amtsgericht Esslingen einen Strukturwandel nach sich. Unter anderem erhöht sich die bisherige Mitarbeiterzahl von etwa 70 auf rund 90 Personen.

Esslingen - Es soll keiner behaupten, die landesweite Notariatsreform würde die Behördenmitarbeiter nicht auch körperlich fordern. Denn allein beim Amtsgericht Esslingen müssen von Montag an etwa 1,7 Kilometer laufende Akten und rund 70 Meter Testamente aus den bisherigen zehn Notariaten ins Amtsgericht Esslingen geschafft werden. Dort werden sie in das dortige System übernommen, denn Nachlass- und Betreuungsverfahren werden seit Beginn dieses Jahres an den Amtsgerichten bearbeitet. Die Vorbereitung der Reform habe in seiner Behörde „viel Arbeitskraft gebunden“, erklärte Andreas Arndt, der Direktor des Esslinger Amtsgerichts, in einem Pressegespräch.

 

Die Reform ist „von langer Hand vorbereitet“

„Es hat gut geklappt“, lobt Arndt die Umsetzung der Neustrukturierung in seiner Behörde. Der bisherige, etwa 70 Personen umfassende Mitarbeiterstab im Amtsgericht ist dadurch um rund 20 neue Kollegen erweitert worden. Im zweiten Stock des Verwaltungsgebäudes in der Esslinger Strohstraße sind fünf Notare und 14 weitere Mitarbeiter eingezogen, um sich in der Nachlass- und Betreuungsabteilung dem neu hinzu gekommenen Aufgabenbereich zu widmen. Einer der Notare ist Hans-Jürgen Wiest, der zuvor im Notariat in Aichwald gearbeitet hatte. Überraschend sei sein Umzug freilich nicht gekommen, sagt Wiest, die Reform sei schließlich „von langer Hand vorbereitet“ gewesen.

Bekannt geworden sei das Vorhaben bereits 2008, doch die heiße Phase der Umsetzung habe Anfang des vergangenen Jahres begonnen, erklärt Wiest. Und man spürt, dass er die Reform auch als notwendig erachtet, denn „seit dem 1. Januar haben wir im Land die gleiche Situation, die in allen anderen Bundesländern längst schon vorherrscht“. Nein, als Vorreiter könne Baden-Württemberg in dieser Sache wahrlich nicht bezeichnet werden. Das Land sei sogar noch nach Portugal als „Letzter in Europa“ in die Reform eingestiegen. Laut dem Justizministerium hat die Reform die weitgehende Digitalisierung der vorhandenen Dokumente und die Vereinheitlichung der Strukturen in Bund und Land zum Ziel.

In kleinen Kommunen gibt es keine staatlichen Notariate mehr

Im Landkreis kümmern sich seit Jahresbeginn neben dem Esslinger Amtsgericht – je nach Wohnort – die Amtsgerichte Nürtingen und Kirchheim um Nachlässe und Entscheidungen zur Betreuung – etwa, wenn es um eine zwangsweise Unterbringung in einem Krankenhaus oder um die Anordnung von Bettgittern geht.

Obwohl es in kleinen Kommunen jetzt keine staatlichen Notariate mehr gibt, müssen die Bürger kein Amtsgericht aufsuchen, um beispielsweise ein Dokument beurkunden zu lassen. Dies wird künftig von selbstständigen Notaren erledigt, für die zum Teil neue Stellen geschaffen wurden.

Änderungen gibt es im Zuge der Notariatsreform auch im Grundbuchwesen. Die bisher vor Ort abgewickelten Grundbuchverfahren sind jetzt zentralisiert worden. Für den hiesigen Bereich ist das Amtsgericht Böblingen zuständig, wo das Grundbuchamt angesiedelt ist.

Im Archiv in Konrwestheim lagern rund 16 Millionen Akten

Notare
Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf bezeichnet die Notariatsreform im Land als „Jahrhundertreform“. Im Zuge der Neustrukturierung wurden alle bisherigen rund 300 staatlichen Notariate aufgelöst. Dafür gibt es jetzt nur noch an 138 Standorten im Land freie Notare, die in ihren Kanzleien Beurkundungen wie Kauf- oder Grundstücksverträge wahrnehmen.

Gerichte
Von den insgesamt 108 Amtsgerichten in Baden-Württemberg sind seit Beginn dieses Jahres 71 auch mit Nachlass- und Betreuungsverfahren befasst. Dies sind all jene Behörden, an denen bisher schon Familiengerichte angesiedelt waren.

Grundbuchwesen
Im Zuge der Reform wurde auch das Grundbuchwesen grundlegend geändert. Dafür wurden 670 Grundbuchämter im Land Baden-Württemberg aufgelöst – das sind mehr als im übrigen Bundesgebiet zusammen. Ihre Aufgaben übernehmen 13 Grundbuch führende Amtsgerichte – und das zentrale Grundbucharchiv in Kornwestheim. Dieses ist das größte seiner Art in Deutschland, denn dort werden – wohltemperiert bei 15 bis 19 Grad – rund 16 Millionen Akten aufbewahrt.