Vor dem Waiblinger Amtsgericht wird gegen einen Pfleger verhandelt, der in der Nachtschicht eine 86-Jährige mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben soll. Die alte Dame ist inzwischen verstorben und kann nicht vor Gericht aussagen.

Dass man bei der Pflege von alten Menschen vor großen Herausforderungen stehen kann, muss jedem klar sein, der einen solchen Beruf wählt. Vor dem Waiblinger Amtsgericht wird gegen einen 46-Jährigen verhandelt, der in der Nachtschicht eine alte Dame mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben soll. Weder zu seiner Person noch zu den Vorwürfen wollte der im ehemaligen Jugoslawien geborene Juri T. (alle Name geändert) Angaben machen. Ihm war nach dem Vorfall fristlos gekündigt worden, und er hatte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Erst vor Gericht erfuhr der Anwalt des Angeklagten, dass das 86-jährige Opfer verstorben ist und wegen einer halbseitigen Lähmung wohl sowieso nicht vor Gericht hätte aussagen können.

 

Der Anwalt stellt einen Beweisantrag

Unter diesen Gesichtspunkten wollte der Anwalt nach der Befragung von fünf Zeugen kein Plädoyer halten, sondern stellte einen Beweisantrag. Er will das im Heim erstellte Pflegeprotokoll und die Akte des Falls nochmals studieren. Die Verhandlung wurde unterbrochen und soll in Kürze fortgesetzt werden.

Der Vorfall trug sich in einem Pflegeheim im vorderen Remstal in der Nacht zum 16. Mai dieses Jahres zu. Nachdem die betroffene Bewohnerin verstorben ist, gibt es keine direkten Zeugen, nur „Zeugen des Hörensagens“. Zunächst wurde die Altenpflegerin vernommen, die am Morgen den Nachtpfleger Juri T. ablöste. Ob es etwas Besonderes gab, habe sie bei der Übergabe gefragt. Maria K. habe ein kleines Hämatom im Gesicht und einen Kratzer, aber das stehe im Protokoll, habe Juri T. geantwortet und sei gegangen. Als die Altenpflegerin kurz darauf in das Zimmer kam, sei sie angesichts der Größe des Blutergusses erschrocken und habe sofort die Pflegeleitung alarmiert.

Die Aussagen wurden auf Tonband aufgenommen

Die Seniorin habe nicht viel gesprochen, obwohl sie sonst redselig war. Sie habe Tränen in den Augen gehabt. Wenig später bei der Körperpflege habe sie gesagt, der Nachtpfleger hat so gemacht und habe eine Faust Richtung Gesicht gezeigt. So stand es im Polizeiprotokoll der ersten Vernehmung der Altenpflegerin.

Bei ihrer Aussage vor Gericht zweifelt diese plötzlich am dokumentierten Wortlaut ihrer Aussage. Das veranlasste Amtsrichterin Dotzauer, den Beamten, der das Protokoll erstellt hatte, kurzfristig ins Gericht rufen zu lassen. Er berichtete, dass die Aussagen damals auf Tonband aufgenommen und dann im Wortlaut schriftlich festgehalten wurden.

Zwei Töchter der Verstorbenen wurden ebenfalls befragt. Beide Töchter bestätigten, dass ihre Mutter geistig völlig klar gewesen sei und man ihren Aussagen stets habe glauben können. Eine berichtete, dass ihre Mutter es nie leiden konnte, wenn die Nachtschicht mitten in der Nacht ihre Einlagen wechseln wollte, dazu das Zimmerlicht einschaltete und der schlafenden Frau unvermittelt die Bettdecke weg zog.

Die Seniorin hat eine Schürfwunde am Arm

„Sie hat oft die Bettdecke fest gehalten und gesagt, nein, ich will das nicht – ich habe das respektiert und bin dann gegangen“, berichtete ein weiterer Nachtpfleger im Zeugenstand. Dieser Mann hatte in der Tatnacht in der Nachbarstation Dienst und durch ein offenes Fenster Schreie gehört. „Ich ging ans Fenster und sah, dass bei Maria K. Licht brannte, daraus schloss ich, dass jemand bei ihr und alles in Ordnung ist“, sagte der Mann aus. Die Heimleiterin berichtete, dass sie sofort Juri T. mit einem anderen Pfleger dem Opfer gegenüber gestellt habe: „Sie hat eindeutig Juri T. identifiziert.“ Im Lauf der Verhandlung stellte sich heraus, dass die Seniorin auch schon andere Verletzungen wie beispielsweise eine große Schürfwunde am Arm hatte und ihren Töchtern berichtete, sie werde nachts „ins Bett geschmissen“.

Die Amtsrichterin machte dem Anwalt klar, dass aus dem Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung, da es sich um Schutzbefohlene handle, schwere vorsätzliche Körperverletzung werden könne und bat ihn zu überdenken, ob er unter diesen Umständen nicht den Einspruch gegen den Strafbefehl zurücknehmen wolle. „Allerdings kann ich nicht sagen, ob die Staatsanwaltschaft nun einer solchen Rücknahme noch zustimmen würde“, sagte sie.