Für den Politikwissenschaftler Oscar Gabriel von der Universität Stuttgart sind Grün und Schwarz landesweit die führenden Kräfte geworden. Im StZ-Interview analysiert er die Wahl.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart – Herr Gabriel, hat Sie an den Ergebnissen der OB-Wahl etwas überrascht?
Da ist allenfalls das noch schwächere Abschneiden der SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm, als es nach den jüngsten Umfragen zu erwarten war. Ansonsten war mit den Ergebnissen zu rechnen, auch dass Kuhn leicht vorne liegt.

Warum konnte das bürgerliche Lager um Sebastian Turner nicht mehr Stuttgarter für sich gewinnen?
Ich war immer der Auffassung, dass Stuttgart und das Land keine natürlichen Hochburgen der CDU sind. Die CDU erzielte früher dank eines guten Personalangebots und der dominierenden Wirtschaftsthemen trotz einer ungünstigen sozialstrukturellen Ausgangslage gute Ergebnisse. Es war überraschend, dass die CDU so lange gut abgeschnitten hatte.

Wie groß ist der Einfluss der Landespolitik bei der Stuttgarter OB-Wahl?
Das sind die Nachwehen von Stuttgart 21, und da ist der Versuch der Bevölkerung, die Episode Mappus zu bewältigen. Das hat in der baden-württembergischen Wahlgeschichte einen tiefen Einschnitt hinterlassen. Nicht die aktuelle Politik spielte eine Rolle, sondern die Entwicklung der letzten zwei Jahre.

Das heißt: Es gibt aus Ihrer Sicht noch immer einen Mappus-Malus für Sebastian Turner – und einen Kretschmann-Bonus für Fritz Kuhn?
Kretschmanns Popularität kommt den Grünen in Stuttgart zugute. Sie haben mit Kuhn, einem politischen Profi erster Güte, einen der stärksten Kandidaten gebracht, den sie finden konnten. Er ist für das bürgerliche Lager wählbar. Turner liegt fast zehn Prozent unter Schusters Ergebnis im ersten Wahlgang 2004 – irgendwo sind diese Wähler geblieben.

 


Und was ist mit der SPD los?
Die SPD hat im Land noch nie eine ernsthafte Alternative zur CDU geboten. Sie ist nun zerrieben im Wettbewerb zwischen Grünen und CDU.

War die Parteilosigkeit der Kandidaten von SPD und CDU ein Problem?
In einer Großstadt ist Politik vom Parteienwettbewerb geprägt. Persönlichkeiten aufzustellen, die das Programm überzeugend vertreten, ist wichtig. Das Aufstellen nicht parteigebundener Kandidaten ist auch ein Wegducken vor politischer Verantwortung.

Welche Rolle spielt Hannes Rockenbauch?
Die für ihn abgegebenen Stimmen zählen natürlich zum linken Lager. Das ist der verbliebene harte Kern der Stuttgart-21-Gegner.

Ist Bettina Wilhelms Ergebnis eine Grundlage, bei der Neuwahl in zwei Wochen anzutreten?
Es ist bekannt, dass das Verhältnis zwischen den Grünen und der SPD in Stuttgart nicht das allerbeste ist. Aber sie bilden zusammen die Landesregierung – wenn auch nicht reibungslos. Daher haben beide Parteien sicher das Anliegen, einen linken Kandidaten zum Stuttgarter Oberbürgermeister zu machen.