Die Fantastischen Vier stellen an diesem Donnerstag erstmals die neuen Songs aus „Captain Fantastic“ vor, ihrem nun schon zehnten Album. Wie schafft man es, so lange durchzuhalten? Ein Besuch bei And. Ypsilon, dem Klangtüftler der Stuttgarter Band.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Andreas Riekes Arbeitsräume bieten das exakte Gegenteil dessen, was man als Interieur eines millionenschweren Popstars vermuten würde. Ein dringend kernsanierungsbedürftiges Entree, drinnen in jeder Ecke steinalte ausrangierte Computer, überall verstreut Elektronikbauteile, Werkzeug, ausgemusterte Keyboards, Verbindungskabel, benutzte Wassergläser, viel Krimskrams und allerlei sonstiges Kuddelmuddel. Ein einst vermutlich sehr teures riesiges Mischpult dient als Ablagefläche, der Hausherr empfängt in ausgelatschten Birkenstocks nebst Jogginganzug und sucht verzweifelt nach zwei sauberen Gläsern, in denen er schließlich das gute Bodenseewasser kredenzt.

 

Man könnte das Ambiente und den Habitus als Statement wider den Bling-Bling-Glamour deuten, der in keinem Genre der Popmusik so ausgeprägt zu finden ist wie im aus den USA in die Welt geschwappten Hip-Hop, in dem fette Stretchlimousinen, zentnerschwere Goldgeschmeide und leichtgeschürzte Begleiterinnen sichtbarer Ausweis des Status sind, es aus der Gosse ganz nach oben geschafft zu haben. Aber der ehemalige Informatikstudent Andreas Rieke, besser bekannt als And. Ypsilon von den Fantastischen Vier, wirkt beim besten Willen nicht so, als würde er sich größere Gedanken über den äußeren Schein machen. Nicht gerade prototypisch für einen Rapstar verbringt er seine Freizeit weder auf Autorennstrecken noch mit einem Privatflugzeug (so etwa soll es ja auch geben), sondern lieber mit seiner Frau und den drei Kindern.

Seine Arbeitszeit hingegen verbringt er bevorzugt in eben seinem etwas in die Jahre gekommenen Studio im Stuttgarter Süden, in dem nun in weiten Teilen auch die Musik des neuen Fanta-4-Albums „Captain Fantastic“ entstanden ist, das an diesem Donnerstag in einem sehr exklusiven, für Fanta-Verhältnisse zwergenkleinen Zirkel erstmals vor Publikum präsentiert wird und am 27. April in den Handel kommt.

Außerdem im Video: Ypsilons Bandkollege Smudo ist nicht nur Rapper. Er fährt auch Autorennen.

Alle Freiheiten der Welt

Schlägt es ähnlich gut ein wie die neun Vorgänger, dürften die Fantas dann die Marke von in der Summe über drei Millionen verkauften Studioalben knacken. Das Stuttgarter Quartett könnte also vergleichsweise frei von wirtschaftlichen Zwängen (also dem Diktat der Musikindustrie) und dem ewigen Kreislauf des Popbusiness (auf ein neues Album folgt die nächste Tournee, dann das nächste Album und so weiter und so fort) agieren. Aber sich gänzlich davon freimachen wollen sie gar nicht. „Branchengesetze sind keine Naturgesetze“, sagt And. Ypsilon zwar, dieses neue Album sei vor allem aber aus eigenem Antrieb entstanden, „weil wir mit neuen Songs in der Regel ein, zwei Jahre live gut leben können, aber dann einfach irgendwann der Punkt kommt, an dem die Spannung abzubröseln beginnt“.

Zu den Branchengesetzen insbesondere des Hip-Hops könnte theoretisch auch zählen, dass man irgendwann zu alt für diese doch eher ein jüngeres Publikum mit seiner entsprechenden Gedankenwelt ansprechende Musik wird. „Vor dieser Frage habe ich überhaupt keine Angst“, sagt der 51-Jährige, der seinem Alter angemessen sehr reflektiert über Musik und das Showbusiness redet, an dieser Stelle aber überraschend resolut wird. „Je weiter die Hip-Hop-Geschichte fortschreitet, desto weiter fächert sie sich auf“, sagt er etwa über den Umstand, dass neben den US-Veteranen und alten Hasen wie den Fantas gerade hierzulande auch viel erbärmliche Spreu mit dem deutschen Rap-Weizen wächst – aber nicht nur. So gebe es seiner Ansicht nach viele junge deutsche Hip-Hop-Künstler, die ihm sehr gut gefallen – und eben auch ein paar Oldtimer, die genau so berechtigt noch immer im Geschäft seien.

Älter werden bringt auch Vorteile

Für ihn selbst berge das Alter ohnehin nur Vorteile. „Die Aufnahmetechnik ist so gut wie noch nie, man kennt mittlerweile so viel, man wird vor allem viel anspruchsvoller, und man will alles immer noch viel besser machen“, sagt And. Ypsilon über seine Rolle beim Songwriting und -producing der Fantas. Klangbild, Aufnahmen, Abmischung, Mastering: All das sind Dinge, die den Fantas und besonders ihm sehr wichtig sind. „Ich könnte da jetzt eine Stunde drüber reden, denn ich habe alles im Detail ergründet“, beschreibt er auch für sich persönlich seinen Erfahrungsreichtum.

Der paart sich mit der Reife der anderen Beteiligten an der Produktion von „Captain Fantastic“. Ihr Langzeitverbündeter DJ Thomilla, ebenfalls Ex-Stuttgarter, hat die Aufnahmen in Berlin federführend gelenkt („er hat es sehr gut drauf, Old-School mit moderner Soundästhetik zu verbinden“). Der Mixer Olsen Involtini („er macht das so gut, dass ich es selbst nicht besser könnte“), auch schon seit vielen Jahren im Geschäft, hat gemischt. Und überhaupt: „Wir sind als Band sehr froh, dass wir in der Position sind, so gute Handwerker um uns herum zu haben, die genau verstehen, was wir wollen“, sagt And. Ypsilon. Und auch das ist etwas, was die Fantastischen Vier auch wieder auf „Captain Fantastic“ von vielen ihrer Nachfahren unterscheidet. Den musikalischen Schöpfungsprozess als Arbeit und als Handwerk zu begreifen, als „zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration“, so And. Ypsilon.

Perfektion kann auch hinderlich sein

„Ich bin ein Perfektionist, und das ist sehr hinderlich“, fügt er hinzu, auf den riesigen Analogsynthesizer neben sich deutend. Dieses Relikt aus längst vergangenen Tagen ist für ihn sein „Maßschneiderwerkzeug für Sounds gegen die Stangenware“, ihn setzt er aus verschiedenen Modulen in einer Art Work in Progress immer wieder zu neuen Klangfarben und -schattierungen zusammen, aus ihm hat er auch einige Sounds generiert, die es auf das neue Album geschafft haben. „Am PC langweile ich mich schnell“, sagt er schließlich auch noch, aber am Ende entscheide der beste Klang das Ergebnis, auch wenn es unorthodox anmuten mag. Wie etwa beim gleichnamigen Titeltrack des neuen Albums: In „Captain Fantastic“ werden echte mit synthetischen Streichern zusammengemischt, weil dies genau die Farbe ergibt, die die Fantas haben wollen.

Allgemein ist „Captain Fantastic“ ganz wie erwartet ausgefallen, in der bewährten Mischung aus Alt und Neu. Alt, weil man And. Ypsilon recht geben muss, dass der Spagat zwischen Old-School-Hip-Hop und zeitgemäßen Popbeats den Fantas diesmal besonders gut gelungen ist. Alt, weil die drei Songschreiber Smudo, Michi Beck und Thomas D auch diesmal wieder reflektierte Reime gedrechselt haben, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger daher kommen zu müssen („wenn wir mal politisch werden sollten, müsste schon sehr viel Negatives in diesem Land passieren“, sagt And Ypsilon).

Und neu, weil diesmal eine ganze Latte von Gästen dabei ist, von Denyo über Curse und Samy Deluxe bis hin zu einem der aktuellen Jungstars der deutschen Rapszene, dessen Name noch streng geheim bleiben muss. So einer als Gast auf einem Fanta-4-Album: Ist wenigstens diese Kollaboration der Fantas ein Tribut an den Zeitgeist? „Früher waren wir zu eitel für so etwas“, sagt And. Ypsilon. Aber auch das können die gereiften Fantastischen Vier mittlerweile offenbar ganz gelassen sehen.