Beim Klimagipfel in Paris läuft die allerletzte Entscheidungsschlacht. Anders Levermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt schon mal, was der Planet jetzt braucht.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Paris -  Herr Levermann, bei der Klimakonferenz läuft die Entscheidungsschlacht um den Klimavertrag. Was wird Ihre Messlatte sein, um die Güte des geplanten Abkommens zu bemessen?

 
Als Klimaforscher stelle ich keine Forderungen an die Klimakonferenz. Aber ich kann beschreiben, was notwendig ist, um die Erderwärmung unter der Grenze von zwei Grad zu halten und damit Klimarisiken zu begrenzen: Dafür müssen wir in den nächsten fünf Jahren das Maximum an Emissionen erreichen und dann innerhalb weniger Jahrzehnte auf null kommen. Dazu brauchen wir eine Strukturänderung im Energiesystem der Weltgesellschaft.
Anders Levermann Foto: privat
Wie soll diese Wende aussehen?
Wir müssen weg kommen von den fossilen Brennstoffen und die Energieversorgung umstellen auf Erneuerbare Energien. Sehr schnell brauchen wir eine Steigerung der Energieeffizienz: Wir müssen Häuser dämmen, Geräte und Kraftwerke effizienter machen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts muss die Energieversorgung der Welt so aussehen, dass sie keine Emissionen mehr verursacht. Damit das gelingt, müssen wir heute damit anfangen. Je länger wir warten, desto schwieriger und teurer wird es.
Viele Öko-Verbände und Klimaaktivisten kritisieren, dass die nationalen Selbstverpflichtungen bisher viel zu niedrig sind, um den Temperaturanstieg in erträglichen Grenzen zu halten. Sehen Sie das ähnlich?
Klar ist, dass wir mit den derzeit vorliegenden INDCs, wie die Selbstverpflichtungen der Staaten zur Emissionsreduktion im UN-Jargon genannt werden, wahrscheinlich weder die 2- noch die 1,5-Grad-Grenze einhalten können. Von den tausend Giga-Tonnen Kohlendioxid, die wir noch ausstoßen dürfen, wenn wir unter der kritischen 2-Grad-Linie bleiben wollen, wären im Jahr 2030 dann schon 800 Giga-Tonnen verbraucht. Die Eindämmung der Erderwärmung auf das vereinbarte Maß ist dann praktisch kaum mehr zu schaffen. Es sei denn, man setzt stark auf Technologien wie die Abscheidung und Einlagerung von Kohlenstoff-Emissionen. Und in der Größenordnung, die dazu notwendig wäre, sehe ich derzeit nicht, wie das machbar sein soll. Einzuhalten ist die Zwei-Grad-Grenze also nur, wenn bei den Emissionsreduktionen mehr gemacht wird.
Bis wann muss die Energieversorgung der Welt CO2-neutral werden – bis zur Mitte des Jahrhunderts oder bis zum Ende?
Wenn wir unter 2 Grad bleiben wollen, muss das im globalen Maßstab spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erreicht sein. Für die Industrieländer bedeutet das, weil sie einen höheren Ausstoß haben, dass sie ihre Energiesysteme praktisch in den nächsten dreißig Jahren umgedreht haben müssen. Es muss also jetzt begonnen werden, denn Kraftwerke sind ja 30 bis 50 Jahre im Gebrauch.
Der Klimavertrag wird es den Staaten überlassen, auf welchem Weg sie das erreichen: Ob sie direkt auf Erneuerbare Energien setzen, versuchen bisher schmutzige Energieformen wie die Kohleverstromung sauber zu bekommen, oder auf die klimapolitisch betrachtet günstige Atomkraft setzen. Haben Sie eine Prognose?
Für die Klimaentwicklung kommt es auf das Ergebnis an: der CO2-Ausstoß muss unterm Strich auf Null sinken. Ob man, um dieses Ziel zu erreichen, alle technologische Kreativität zulässt, müssen Bürger und Politik entscheiden.
Glauben Sie, dass die Bundesrepublik mit ihrer Energiewende, die im ersten Schritt die Atomkraftwerke abgeschaltet hat und nun die Kohlekraft als Brückentechnologie braucht, viele Nachahmer haben wird? Und wäre das aus der Sicht des Klima-Dynamikers überhaupt wünschenswert?
In der Klimadynamik geht es ums Erdsystem, nicht um einzelne Technologien. Aber die Frage, die Deutschland beantworten kann, ist, ob man ein erfolgreiches Industrieland sein und sich Richtung Null Emissionen bewegen kann. Ich bin da Optimist.