Der österreichische Volksmusikstar Andreas Gabalier bekommt seine erste eigene Fernsehshow. Austrahlung ist am Samstag. Was steckt hinter dem Alpen-Rock’-n’Roller?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Auf den Bildern ohne nach oben gedrehte Elvis-Tolle sieht der Musiker Andreas Gabalier, 29 Jahre alt, Steirer und in einem Grazer Vorort aufgewachsen, ein bisschen aus wie der junge Essener Helmut Rahn, der deutsche Fußball-Weltmeisterschaftsmacher von 1954. Das ist natürlich Zufall, andererseits ist dieses Fünfzigerjahrehafte von Gabalier gewollt. Hinten auf der Bühne in den Konzerten stehen zwar die Laptops, vorne aber er in der Lederhose und übt sich in Legendenpflege. Dann singt Gabalier Einschlägiges von Freddy Quinn („Seemann, lass das Träumen“) und Peter Kraus (überdies tatsächlich mit Peter Kraus zusammen), als sei die Welt einfach sechzig Jahre lang stehen geblieben. Und eigentlich erwartet man dann sekündlich den längst toten Helmut Rahn zurück. „Ois, wos bleibt, ist die Erinnerung . . .“, heißt es schließlich in Andreas Gabaliers mittlerweile berühmtesten Lied, „Amoi seg’ ma uns wieder . . .“ Erinnerung – ein weites Feld.

 

Wenn der Österreicher am Samstagabend (20.15 Uhr) im Ersten, bei SRF 1 und ORF 2 mit einer jüngst in Füssen aufgezeichneten Show kommt und wahrscheinlich gleichzeitig in der Schweiz, Österreich und Deutschland für Rekordeinschaltquoten in diesem Fernsehshowgenre sorgt, dann wird „Amoi seg’ ma uns wieder . . .“ natürlich nicht fehlen. Der Song ist konstitutionell für ein Gabalier-Konzert. Er erklärt alles – und auch wieder fast nichts und rührt jedenfalls in seiner Doppelbödigkeit, die so typisch ist für manches Material von Gabalier, an zentrale Geheimnisse seines Erfolgs.

Noten sind für ihn nicht mehr als „Kaulquappen“

Geschrieben hat der damalige Jurastudent Gabalier das Lied angeblich als Reflex auf einen doppelten Selbstmord in seiner Familie: zuerst zündet sich vor acht Jahren sein Vater, 53 Jahre alt, auf offener Straße und vor seinem eigenen Wohnhaus an. Zwei Jahre später tut es ihm das „Papa-Kind“ (wie Andreas Gabalier sagt), seine jüngere Schwester, 19 Jahre alt, gleich. Parallelen zum Schicksal des ehemaligen Skirennfahrers und späteren Schlagersängers Hansi Hinterseer, ebenfalls ein Kind aus ungeheuer problematischen Verhältnissen, scheinen auf der Hand zu liegen. Auch Hinterseer ist ein weitgehend wenig hinterfragter Apologet einer überwiegend „heilen“ Sicht auf die Welt: es wird schon alles wieder gut.

Und doch liegen die Dinge bei Gabalier, dem Jungen mit der steirischen Harmonika, ein wenig anders. Von Anfang an nämlich steuert der Autodidakt, für den „Noten heute noch nichts anderes sind als Kaulquappen“ einen sehr eigenen Stil, als er vor wenigen Jahren von der Juristerei ins Geschäft des von ihm selbst als Marke erfundenen Volks-Rock-’n’-Rollers wechselt. Gabalier kopiert stilistisch Helden der Fifties, manchmal in durchaus selbstironischer Manier, verblendet jedoch die Musik größtenteils mit Texten über Welten, von denen sich vormals Rock ’n’ Roller in der Regel distanziert hätten. Gabalier wildert in Gefilden, die im klassischen Rock ’n’ Roll tabu waren. Er sucht, teils im schwersten steirischen Dialekt, mit dem Herzen die Heimat beziehungsweise die Heimat im Herzen: „So a liabes Rehlein mit himmelblaue Augen hob i übahaupt no gor nie gsehn.“ Rehbock sucht Frau, ist, gar nicht mal vereinfachend gesagt, der Inhalt der Strophen.

Schlicht in der Ansprache und im Weltbild

Gabaliers Kernpublikum, das seit dem Erscheinen des ersten Albums 2009 Millionenkäufe tätigt und nicht nur einzelne Songs herunterlädt, was im prinzipiell toten CD-Geschäft Furore macht, vergrößert sich rasant. Vom Alter her ist es seltsam unterschiedlich: neben sehr jungen Leuten, allesamt gerne in Tracht (plus Sonnenbrille) stehen gesetzte Herrschaften, die höchstwahrscheinlich tatsächlich einmal mit den Hüftschwüngen eines Peter Kraus zur Helmut-Rahn-Zeit musikästhetisch sozialisiert worden sind.

Auf eigene Art und Weise stellt Gabalier da eine Gemeinschaft her, die weitere Kreise zieht. Als er im letzten Jahr in der von Xavier Naidoo initiierten Vox-Show „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ saß, wurde er nicht nur von Naidoo gecovert, sondern verschaffte sich darüber hinaus Respekt als eine besondere Art von Original: heimattrunken, schlicht in der Ansprache und im Weltbild, ein wenig Chauvi, gleichzeitig aber Frauenversteher, Partymann – und Schlitzohr.

Nicht von ungefähr aber ist Gabalier von Beginn seiner rasanten Karriere an in Verruf geraten, weil er sich zwar als „Elvis der Steiermark“ präsentierte, gleichwohl noch andere Botschaften zu versenden schien. Genau betrachtet erinnert das Titelfoto der CD „Volks-Rock ’n’ Roller“, das einen dynamisch sich in der Bewegung fast überschlagenden Gabalier zeigt, (auch) an ein Hakenkreuz. Gewollt? Unbeabsichtigt? Linke Kulturkritik reagiert auf eine solche Emblematik stets äußerst gereizt, zumal wenn in den dazugehörigen Texten in einem fort von „Heimat“ und „Heimatsöhnen“ die Rede ist, deren vitale Grundbedürfnisse zwar meistens gestillt scheinen, wenn sie nur gescheit „gebusselt“ werden von „Dirndln“ oder „Madln“, welche jedoch sogleich zurückstehen, sobald der Mann ausflugt in jene Reservate, die nicht vollkommen vom Zivilisationsmüll verschüttet worden sind.

Die FPÖ arbeitet gerne mit Subtexten

Dann geht er als „Biker“ in die Berge, wo sich „Italiener, Deutsche und Japaner“ grüßen. Deutsche, Italiener und Japaner? Treffen schon mal aufeinander in freier Wildbahn, gewiss, waren aber auch die Achsenmächte in Adolf Hitlers idealer Weltkonstruktion. Hat Gabalier daran gedacht? Wer die wütenden, verletzten und ihrerseits ausfällig werdenden Einlassungen seiner oft glühenden Anhänger in den einschlägigen Foren liest, könnte meinen: nie im Leben.

Andererseits hat eine solche Art von rhetorischem Zündeln gerade in Österreich eine ungute Tradition und Präsenz. Die FPÖ zum Beispiel arbeitet gerne mit Subtexten, und ein Lied ist eben manchmal mehr als ein Lied. Wer wüsste das besser als Andreas Gabalier? Als Conchita Wurst im Frühjahr beim Grand Prix einen österreichischen Kontrapunkt setzte, konterte der Steirer auf seine Art: als er beim Formel-1-Rennen in Zeltweg die Nationalhymne singen sollte, ließ er selbstherrlich jenen neuen, vom Parlament mehrheitlich beschlossenen Passus weg, in dem nicht nur von den  Herren der Schöpfung die Rede ist, sondern auch die österreichischen „Töchter“ erwähnt werden. Alles Genderwahn, so Gabalier, wie, unisono, der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Traumfrauen, aufgehoben im Märchenwald

Am Samstagabend in der ARD bei Gabalier eingeladen – neben den vollends harmlosen Gästen Zucchero, Status Quo, Peter Kraus und Jeanette Biedermann – sind die Scorpions, längst weichgespülte Mainstreamaltrocker („Wind of Change“) mit Bundesverdienstkreuz an der Lederjacke, seinerzeit überreicht von Gerhard Schröder. Auch die Scorpions hatten 1976 einmal Ärger um ein Cover: „Virgin Killer“ zeigte ein eindeutig minderjähriges, nacktes Mädchen hinter einer teils zersprungenen Glasscheibe. Die Sprünge gingen strahlenförmig vom Schoß aus. Nach einem Gerichtsverbot gab es die Platte in vielen Ländern nur schwarz eingeschweißt zu kaufen. Später wurde das Cover geändert, mäandert aber natürlich im Internet.

Der Scorpions-Sänger Klaus Meine und die Seinen kamen damals selbstverständlich nicht für Samstagabendshows infrage, aber sie wurden auch nicht weiter belangt. Später schämte sich der damalige Texter und Gitarrist Uli Roth dafür, dass die Band dem Ansinnen der Plattenfirma nachgegeben habe bei der Abbildung. Das Bild mache ihn „schaudern“, sagte Roth vor ein paar Jahren. Das Scorpions-Gründungsmitglied Rudolf Schenker argumentierte, man solle einfach mal auf den Text achten. Darin stehe, dass der eigentliche „Virgin Killer“ die Zeit, also unsere Gegenwart, sei: „Ein Kind kommt naiv zur Welt, später verlieren sie diese Naivität, stürzen in dieses Leben und verlieren dabei all das und geraten in Schwierigkeiten.“

Selbst, wenn man das glaubte, war es trotzdem perfide und verbrecherisch, die angebliche Aufklärung optisch derart aufbereitet zu verkaufen. Bei Andreas Gabalier nun werden aus den „naiven Kindern“ der Scorpions wieder die oben erwähnten „liaben Rehlein“: Traumfrauen, aufgehoben im Märchenwald und geschützten Reservaten unterm eisernen Gipfelkreuz. So schließt sich ein Kreis. Im grenzenlos verlogenen Kitsch der öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung am Samstagabend ist das alles irgendwie miteinander verbunden: Eins.