Der Landtagsabgeordnete Stefan Herre verblüfft Verwaltung und Regierung mit einem nicht enden wollenden Fragekatalog zu seiner Heimatregion.

Stuttgart - Der Zollernalbkreis macht jenseits von Albstadt und Balingen nicht viel von sich reden. Die Gegend ist idyllisch, die Wirtschaft floriert, aber schon im nahen Stuttgart nimmt man von der Region am Albtrauf nur noch beiläufig Notiz. Seit der AfD-Abgeordnete Stefan Herre im Landtag sitzt, hat sich das jedoch gründlich geändert. Zumindest die Ministerialbeamten in der Landeshauptstadt beugen sich nun fast täglich über die Besonderheiten rund um den Hohenzollern und lassen Statistiken und Tabellen zusammentragen, denn Herres Wissensdurst ist unstillbar.

 

Mehr als 200 Kleine Anfragen hat der junge Abgeordnete im ersten Jahr seiner Parlamentszugehörigkeit schon gestellt – ein Rekord. Die allermeisten davon zum Zollernalbkreis. Die Altlastensanierung interessiert ihn ebenso wie die Saatkrähen, der Ärztemangel ebenso wie die Geflügelpest, die Scheidungsrate ebenso wie der Müll an Straßen, die Bodenversauerung ebenso wie Geisterfahrer und Forsthäuser. Auch das Mietniveau, der Gewässerschutz und Kreisverkehre sind fein säuberlich dokumentiert. Auf die Frage, warum er das alles sammelt, verweist Herre auf die Gefahr von Fake News: „Eine saubere Faktenlage ist uns extrem wichtig, man wirft uns doch häufig vor, Unwahrheiten zu verbreiten“, sagt der 25-Jährige. Natürlich gebe es auch andere Informationsquellen als die Landesregierung, den Landrat zum Beispiel.

Doch auf Gespräche unter vier Augen könne man sich ja nicht berufen. Offizielle Antworten seien immer noch die besten. Im Übrigen stammten die Fragen nicht allein von ihm, er leite vielmehr Bürgerfragen weiter: „Das ist ja die einzige Möglichkeit, die ich als Abgeordneter habe.“

Lieber etwas Offizielles

Die politische Konkurrenz verfolgt Herres Neugier mit Argwohn. Grünen-Fraktionsvize Uli Sckerl sprach sogar einmal von einem „Propagandainstrument“, mit dem die AfD den Ministerien unnötige Arbeit aufhalse. Das ist allerdings weit hergeholt, weil nicht einmal im Ansatz erkennbar ist, was Stefan Herre mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen anfängt. Was politisch aus dem Datenberg folgt, bleibt im Ungewissen – wie bei so vielen Kleinen Anfragen ganz generell. So lässt der Landrat des Zollernalbkreises denn auch Nachsicht walten. „Ich habe Herrn Herre schon mehrfach freundlich angeboten, dass er die Informationen auch direkt von uns haben kann“, seufzt Günther-Martin Pauli, ein früherer CDU-Landtagsabgeordneter, der die Profilierungsnöte von Volksvertretern kennt.

Landrat Pauli übt Nachsicht

Schließlich landeten viele Anfragen über die Regierungspräsidien doch wieder in seinem Landratsamt, wo ja die Datenquelle liege. Pauli: „Aber der junge Abgeordnete entdeckt jetzt eben die Welt.“

Manche Fragen zum Zollernalbkreis entbehrten allerdings jeglicher Grundlage. Wenn Herre etwa nach Wildschäden durch Rotwild frage, sei das schlicht Unfug. Pauli: „Wir haben im Zollernalbkreis gar kein Rotwild.“ Vielleicht habe der AfD-Mann ja den Anspruch, ins Guinnessbuch der Rekorde zu kommen, spottet er.

Das Ganze sei allerdings teuer, die Ministerien hätten auch so schon genug Arbeit. Insofern sei Herres Fragerei auch eine Verschwendung von Steuergeldern. In den Behörden reagiert man allenfalls mit Augenrollen auf das Thema. Offiziell untersteht sich niemand auch nur im Ansatz, das Informationsbedürfnis des Souveräns zu kritisieren. Außerdem sind die Ministerien das übersteigerte Fragebedürfnis gewohnt, die AfD unterscheidet sich in diesem Punkt gar nicht von anderen Oppositionsfraktionen. So befand vor einiger Zeit der „Spiegel“, dass Linke und Grüne im Bundestag die Regierungskoalition regelrecht „geflutet“ hätten, weil sie sonst doch überhaupt nicht wahrgenommen würden. Bisweilen nimmt die Fragerei skurrile Züge an. So ließ Herre jüngst das Wirtschaftsministerium aufschlüsseln, wie viele inhabergeführte Bäckereien, Fleischereien und Supermärkte es im ländlichen Raum gebe – samt Filialen.

Doch im Stuttgarter Landtag, so behauptet Stefan Herre, habe die FDP-Fraktion pro Kopf sogar noch viel mehr Anfragen gestellt als die AfD – allerdings nicht zum Zollernalbkreis. Bei dessen Vermessung steht Stefan Herre an der Spitze. Was die Kosten der ganzen Fragerei angeht, muss der AfD-Mann übrigens auf offizielle Auskunft verzichten. Zwar hat er darum gebeten, doch konnte die Landtagsverwaltung, die alle Kleinen Anfragen an die zuständigen Ministerien weiterleitet, das Thema offenbar keinem Ministerium zuordnen. Stefan Herre sagt: „Wir haben das dann zurückgezogen.“

Richtigstellung: In unserem Artikel vom 14. Juni 2017 über die parlamentarische Aktivität des Balinger AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Herre („Die Vermessung der Zollernwelt“) ist uns ein Fehler unterlaufen: Statt mehr als 200 Kleine Anfragen hat Herre lediglich rund 120 Anfragen gestellt.