Der Mittagstisch im Martinisaal in Kornwestheim ist für sein preisgünstiges Essen bekannt. Den meisten Gästen geht es tatsächlich jedoch um etwas anders.

Ludwigsburg: Anne Rheingans (afu)

Sobald die Tür zum Martinisaal an der Adolfstraße geöffnet ist, ist das Stimmengewirr zu hören. Einige Gäste haben ihre Plätze bereits eingenommen. Auf den Tischen sind kleine Tannenbäume aufgestellt, Teelichter brennen in roten Gläsern, die Servietten schmückt ein vorweihnachtliches Motiv. An der Theke am Eingang stehen Franz Scheuermann und Jacqueline Avagliano, um weitere Besucher zu begrüßen. Vor 15 Jahren haben die beiden die Idee eines preisgünstigen Mittagstischs in Kornwestheim zum ersten Mal umgesetzt. Das Konzept wurde schnell zum Erfolg – obwohl das Angebot nach wie vor mit Vorurteilen in Verbindung gebracht wird.

 

Bei einer warmen Mahlzeit ins Gespräch mit anderen kommen, soziale Kontakte knüpfen und pflegen, die Einsamkeit vertreiben: Das steckt hinter dem Angebot des Mittagstischs. Den beiden Initiatoren war es ein Anliegen, Leute zusammenzubringen. Nicht nur, aber vor allem auch solche, die ansonsten allein zu Hause bleiben würden. Unter dem Dach der katholischen Kirchengemeinde kümmern sich die zwei Ehrenamtlichen zusammen mit einem Team von acht weiteren Helfern darum, dass jeweils donnerstags die Tische gedeckt und die Mahlzeiten verteilt werden.

Zum 15. Geburtstag ist es besonders festlich

An diesem Tag sieht es im Saal besonders festlich aus. Weil der Mittagstisch seinen 15. Geburtstag feiert, wurden einige Stühle mehr aufgestellt und die Ehrenamtlichen haben mit besonders viel Liebe dekoriert. Sie laufen schnellen Schrittes durch den Saal, um die Gläser mit Wasser zu füllen und die dampfenden Suppenschüsseln an die Tische zu bringen. Noch immer treffen weitere Gäste ein. Manche sind verwirrt und schauen sich fragend um, weil die Sitzordnung heute ein wenig anders als gewohnt ist. „Einfach einen freien Platz suchen“, ermuntert Scheuermann die Stammgäste.

Jeden Donnerstag um 10 Uhr beginnen für die Ehrenamtlichen die Vorbereitungen. Der Mittagstisch öffnet um 11.30 Uhr. Erst gegen 15.30 Uhr ist für die Helfer Feierabend. Das Essen müssen sie zwar nicht kochen. Es wird von einem Caterer angeliefert. Alle anderen Arbeiten wie das Decken der Tische, das Servieren der Mahlzeiten und das Aufräumen erledigen sie dagegen Woche für Woche. Jacqueline Avagliano opfert für das Ehrenamt dennoch gerne ihre Zeit. Neben ihrem Beruf hält sie sich den Donnerstag dafür frei. „Ich bin einfach mit Herzblut dabei“, sagt die Kornwestheimerin, die – wie Scheuermann - auch im Kirchengemeinderat aktiv ist und sich für den Tafelladen und das Kleiderstüble engagiert.

Essen zum Selbstkostenpreis

Zu dem besonderen Anlass wird das Essen heute nicht berechnet. Regulär kostet das Hauptgericht mit einer warmen Suppe als Vorspeise und einem Glas Wasser derzeit 3,80 Euro. „Wenn es Fisch, Roulade oder Gulasch gibt, kommen besonders viele“, sagt Franz Scheuermann und schmunzelt. Wer möchte, bekommt hinterher für 50 Cent zusätzlich einen Kaffee, einen Espresso oder ein Eis. Die Preise sind so kalkuliert, dass das Team des Mittagstischs nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Die Rechnung geht allerdings nur dadurch auf, dass die Kirchengemeinde die Räumlichkeiten stellt und die Ehrenamtlichen mit Spenden unterstützt werden.

An einem der Tische sitzt Helga Fehringer. Sie ist seit Anfang an dabei. Die warme Mahlzeit sei zwar nicht zu verachten, aber nicht die Hauptsache, meint sie. „Mir geht es um die Gesellschaft. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Kurzurlaub“, sagt sie. Für sie ist der Mittagstisch ein fester Termin, den sie nur selten wegen anderer Verpflichtungen ausfallen lässt und auf den sie sich jede Woche freut. Durch ihn hat sie Freundschaft mit zwei weiteren Frauen geschlossen, die heute zu ihrer Linken sitzen.

Von Anfang an dabei

Am Nachbartisch hat Brigitte Arweiler einen Platz gefunden. Sie hält dem Mittagstisch aus demselben Grund seit 15 Jahren die Treue. „Das Essen schmeckt meistens gut und ist zwar wirklich sehr günstig, aber mir ging es nie ums Geld“, sagt die Seniorin. Die Gemeinschaft sei ihr viel wichtiger. In ihrer Gruppe hat es sich etabliert, dass derjenige, der Geburtstag hat, eine Runde Kaffee oder Eis ausgibt. Solche Kontakte machen für sie den wöchentlichen Termin aus. „Durch den Mittagstisch hat jeder Donnerstag einen Lichtblick.“ Wer neu in der Runde ist, fühle sich nach kurzer Zeit dort wohl.

Dennoch hat der Mittagstisch wegen des günstigen Essens mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass es ein Angebot speziell für ärmere Menschen ist. Tatsächlich sind die meisten Gäste aber nicht darauf angewiesen zu sparen, sondern geben freiwillig gerne mehr. „Viele Gäste werfen regelmäßig Spenden bei uns ein“, sagt Avagliano.

Vorurteile und Missverständnisse

Zudem herrscht bei manchen Kornwestheimern das Missverständnis vor, dass der Mittagstisch nur für Katholiken gedacht ist. Aber das ist ganz und gar nicht so, betont Pfarrer Franz Nagler. „Jeder und jede ist willkommen.“ Gerade in krisenhaften Zeiten wie jetzt ist nach seiner Ansicht die Gemeinschaft besonders wichtig. Dass beispielsweise die neuapostolische Kirche die Aktion mehrfach finanziell unterstützt hat, hat sich in der Stadt noch nicht herumgesprochen. Dennoch: 50 bis 60 Personen haben die Ehrenamtlichen jede Woche zu bewirten.

Heute sind es sogar mehr Gäste. Mittlerweile haben sich fast alle Plätze gefüllt. An der Theke herrscht ein emsiges Treiben. Das Klappern des Porzellans übertönt hier vorne im Saal die Gespräche der Gäste. Schnitzel und Kartoffelsalat werden auf die Teller gegeben. Während einige Ehrenamtliche das Hauptgericht an die Tische bringen, sammeln andere zeitgleich auf ihren Tabletts die leeren Suppenschüsseln ein.

Vor der Pandemie haben die Gäste im Franziskussaal, also eine Etage höher, geschlemmt. Dann kam die erzwungene Pause. „Wir mussten den Mittagstisch für eine Weile schließen“, erinnert sich Avagliano. In dieser Zeit wurde sie immer wieder unterwegs von Stammgästen angesprochen, denen die wöchentlichen Treffen sehr gefehlt haben. Als die Ehrenamtlichen wieder öffnen durften, zog der Mittagstisch in den großen Martinisaal um, damit mehr Abstand zwischen den Tischen gewahrt werden kann. Ein bisschen Gemütlichkeit ist dadurch verloren gegangen, sagt Brigitte Arweiler bedauernd. Doch sie und die anderen Stammgäste haben sich längst an die veränderten Räumlichkeiten gewöhnt.

Im Martinisaal haben nun auch die Helfer mehr Platz. Ihre Handgriffe sind geübt, die Abläufe sichtbar schon vor Längerem zur Routine geworden. Wenn alle Gäste ihren Hunger gestillt haben, sind die Ehrenamtlichen mit dem Essen an der Reihe. Vorher steht aber noch der Dienst an der Gemeinschaft im Vordergrund.