Nach 16 Jahren als Vorsitzende der CDU und elf Jahren als Bundeskanzlerin will Angela Merkel weitermachen, hat sie bei „Anne Will“ verraten. Dabei ist sie auf einige Fragen konkrete Antworten schuldig geblieben. Eine Analyse ihrer zentralen Aussagen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - ARD-Talkmasterin Anne Will muss es weit vorher gewusst haben, dass Angela Merkel am Sonntagabend verkünden wollte, weiter zu machen – denn entgegen den üblichen Gepflogenheiten wurde diesmal kein Talkshow-Thema im Vorfeld angekündigt. So stand die Kanzlerin 25 Minuten lang Rede und Antwort – bot aber so gut wie nichts Konkretes. Eine Analyse ihrer zentralen Aussagen.

 

„Wir sind gut gerüstet, mit einer Politik von Maß und Mitte Halt und Orientierung zu geben.“

Das ist Politikersprech – nichtssagend. Merkel will Lösungen auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft und des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats. Ja, auf was denn sonst? Sie hält nichts davon, „die Probleme durch Abschottung, Abkapselung, auch Ablehnung zu lösen“. Konkrete programmatische Ansagen macht sie nicht.

„Die Sorgen muss ich schon wahrnehmen, dass wir in Zeiten dramatischer Veränderungen leben und dass wir deshalb schauen müssen, wie wir neue Antworten finden.“

Angela Merkel gibt die Geläuterte: Sie will ihre Politik der „Wirklichkeit anpassen“. Dabei zieht sie einen Vergleich zum Beginn ihrer Kanzlerschaft: Vor zehn Jahren habe sie nicht über das rasante Tempo der Digitalisierung nachdenken müssen, sagt sie mehrfach und erwähnt Jobverluste durch Rationalisierung, gerade für Leiharbeiter und Werkverträgler. Demnach hat die CDU die Modernisierungsverlierer entdeckt. Merkel stellt fest, es gehe darum, „dass Menschen sich nicht mitgenommen fühlen, den Eindruck haben, um mich kümmert man sich zu wenig, oder ich habe nicht die Chancen, die andere haben“. Sie erwähnt jüngere Menschen, die „vielleicht 10, 15, 20 Jahre keinen festen Arbeitsvertrag haben“ und „gucken müssen, wie kann ich in München vielleicht Wohnungseigentum erwerben“. Letzteres ist angesichts der hohen Preise dort eher ein Luxusproblem. Ansonsten fallen die Veränderungen nicht vom Himmel: Was wurde in den vergangenen zehn Jahren gegen die Probleme getan? So gesehen kommt die Einsicht spät.

„Ich tue mich unheimlich schwer mit der Unterscheidung der Bevölkerung, wonach ein Teil für sich in Anspruch nimmt: ich bin das Volk und der andere Teil ist die Elite.“

Ist Merkel als Vertreterin des von vielen abgelehnten sogenannten Establishments Teil der Lösung oder eher Teil des Problems? Dieser Gegensatz wird von den Populisten künstlich aufgebaut. Wir hier unten – dort die Elite. So funktioniert die Gesellschaft nicht. Da hat die Kanzlerin Recht: „Dass die, die kritisieren, jetzt plötzlich das Volk sind und die anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und nicht ganz so viel kritisieren, nicht mehr das Volk sind, das will ich für mich nicht annehmen.“

„Das kann ich nicht sagen.“

Auf die Frage, ob sie sich anders entschieden hätte, wenn Donald Trump nicht gewählt worden wäre, will Merkel keine klare Antwort geben. Sie weicht aus zu der Erkenntnis, dass sie dem Land noch etwas geben könne, dass sie neugierig genug sei und dass die Kraft reiche – statt selbstbewusst deutlich zu machen, dass eine Bundeskanzlerin solche Entscheidungen nicht von der Wahl des US-Präsidenten abhängig macht.

„Grotesk und absurd ist, wenn jetzt so getan wird, als sei ich da die letzte Säule.“

Merkel wehrt sich gegen die Bürde, dass sie allein der nationalistischen Bewegung in Europa noch etwas entgegensetzen könne. Dass dies trotzdem ein Antrieb ist, verrät sie mit dem Satz: „Das war ein Beweggrund dafür, sich dafür zu entscheiden und nicht einfach zu sagen: Das wird mir alles zu kompliziert.“ Sie wolle jetzt nicht davonlaufen, sondern zeigen, dass man ein so großes Problem lösen könne, ohne dass Europa auseinanderfällt. Da deutet sich internationaler Druck auf Merkel an, dass wenigstens sie Stabilität beweisen möge.

„Es kann sein, dass diejenigen, die gestern noch gesagt haben: ,Bitte mach es’ morgen sagen: da habe ich vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen.“

„Das mit den Schmeicheleien“ sei in der Politik eine interessante Frage, bemerkt Merkel. Da bietet sie einen kleinen Einblick in die Binnenverhältnisse der CDU: Heut zeigen sich alle begeistert über ihre Ankündigung – doch wehe, die Umfragewerte brechen ein, dann werden sie über die Chefin herfallen. So geht das in der Politik.

„Ich find, er hat doch ganz konstruktiv gesprochen – da hatten wir schon Kontroverseres.“

CSU-Chef Horst Seehofer hatte die Merkel-Ankündigung lapidar kommentiert, es sei „gut, dass jetzt Klarheit herrscht“. Kein positives Wort über Merkel. Doch die Kanzlerin will nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, lächelt lieber süffisant. Doch bleibt die Frage: Kann Seehofer weiterhin mit ihr umspringen, wie ihm beliebt?