Ohne Parteivorsitz haben sich Bundeskanzler stets schwer getan, zeigt ein Blick zurück in die Geschichte. Die SPD lieferte Angela Merkel abschreckende Beispiele.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wie kann man ein Land führen, wenn man nicht einmal die Mitglieder der eigenen Partei führen kann?“ Diese provokante Frage holt Angela Merkel nach 14 Jahren ein. Sie spottete so über ihren Vorgänger Gerhard Schröder, als der im März 2004 nach einer Serie von Wahlniederlagen infolge der Querelen um die Agendapolitik den Posten als SPD-Chef an Franz Müntefering abtrat, um sich als Kanzler zu behaupten. Merkel wertete dies im Rückblick als Schröders verhängnisvollsten Fehler, wie sie mehrfach zu Protokoll gab. Schon damals unkte sie: Der Verzicht auf den Parteivorsitz bedeute einen „Autoritätsverlust auf der ganzen Linie“. Das steht ihr nun selbst bevor.

 

Die Überzeugung, dass ein Kanzler auch Vorsitzender der eigenen Partei sein sollte, hat Merkel von ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl geerbt. Der dirigierte aus dem Kanzleramt heraus die CDU bis hinein in die entlegensten Kreisverbände. Kohl wurde schon 1973 CDU-Chef. Neun Jahre später kam er ans Regieren. Als kurz vor dem Fall der Mauer viele der eigenen Leute seiner Regentschaft überdrüssig waren, wollten ihn die CDU-Rebellen um den Generalsekretär Heiner Geißler und den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth folgerichtig erst mal von der Spitze der Partei verdrängen. Der Putschversuch scheiterte im Vorfeld des Bremer Parteitags im Jahre 1989. Kohl konnte sich danach noch weitere neun Jahre in beiden Ämtern halten.

Geheime Absprachen

In der CDU hatte diese Art der Doppelherrschaft Tradition: Schon Konrad Adenauer ließ sich umgehend zum Parteichef wählen, nachdem er 1949 Bundeskanzler geworden war. Erst mit 90 ging er als CDU-Bundesvorsitzender in Rente, drei Jahre nach dem Auszug aus dem Kanzleramt. Sein Nachfolger Ludwig Erhard hatte vielleicht zu spät die Zügel in der eigenen Partei übernommen. Für Merkel wiederum war der Parteivorsitz ebenfalls die Startrampe, um Kanzlerin werden zu können.

Unter den Sozialdemokraten war es hingegen kein ehernes Gesetz, dass der Kanzler auch Parteichef sein sollte. Als Willy Brandt 1974 wegen der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume von seinem Regierungsamt zurücktrat, bleib er weitere 13 Jahre SPD-Vorsitzender. Wie es dazu kommen konnte, bleibt umstritten. Gerüchten zufolge hat er sich das Parteiamt in einer geheimen Absprache mit Fraktionschef Herbert Wehner und Helmut Schmidt ausbedungen, seinem Nachfolger als Kanzler. Schmidt, der Brandt von einem Rücktritt abgeraten habe, habe ihn bewogen, doch wenigstens Parteichef zu bleiben, schreibt der Historiker Heinrich August Winkler. So kam es zu einer „Arbeitsteilung, die Schmidt später bedauern sollte“, urteilt Winkler. Unter Genossen wird diese Phase bisweilen als „erste Troika“ glorifiziert: „Aus ihrem Miteinander, Nebeneinander, Gegeneinander kristallisierte sich etwas ungewöhnlich Komplementäres heraus“, so verklärte das der Journalist Gunter Hofmann. Das harmonierte jedoch nicht lang. Schmidt fühlte sich in der Sicherheitspolitik und im Streit über die Kernenergie von seiner Partei im Stich gelassen.

Schröder erging es 20 Jahre später ähnlich. Als er Kanzler wurde, war Oskar Lafontaine noch SPD-Chef. Dieses Doppel hielt aber nur 142 Tage.