Kanzlerin Angela Merkel wirbt auf ihrer Sommer-Pressekonferenz in seltener Klarheit für Mitgefühl mit den Flüchtlingen und brandmarkt rechte Hetze. „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen.“

Berlin - Angela Merkel lässt die Frage gelassen von sich abtropfen. Ob es sie ärgere, dass das Wort „merkeln“ zum Jugendwort des Jahres 2015 auserkoren worden sei? Merkeln, das heiße so viel wie: „Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben“, fügt der Fragende hinzu, als habe die Kanzlerin derlei Belehrung nötig. „Das nehme ich emotionslos zur Kenntnis“, antwortet sie knapp auf ihrer alljährlichen Sommerfragestunde vor der Bundespressekonferenz. Nächstes Thema.

 

Journalisten können auf dieser Pressekonferenz fragen, was immer sie wollen. Das Thema ist nicht vorgegeben und auch nicht die Zahl der Fragesteller. Eigentlich war diese Pressekonferenz bereits Mitte Juli vorgesehen, aber wegen der Griechenland-Krise wurde sie verschoben. Dann kamen die Berichte über steigende Flüchtlingszahlen, über Hilfsbereitschaft, aber auch über brennende Aufnahmeeinrichtungen. Und wäre diese Pressekonferenz vor einer Woche gewesen, Merkel hätte sich womöglich dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, sie „merkle“ sich in dieser Deutschland so bewegenden Frage durch, ohne Gesicht zu zeigen.

Es war ja auch tatsächlich so, dass sie zunächst ihren Innenminister Thomas de Maizière vorschickte, der den Anschein erweckte, als könne man die dramatische Entwicklung wie einen Verwaltungsakt behandeln. Aber dann war Merkel vergangenen Mittwoch in Heidenau, ließ sich beschimpfen als „Schlampe“, „Hure“ und „Volksverräterin“, stellte sich offen auf die Seite derer, die helfen wollen und machte die Flüchtlingsfrage endlich zur Chefsache. Es hat gedauert, bis sie Worte fand für das, was jüngst geschah. Aber diese Worte sind dafür umso klarer, auch auf dieser Pressekonferenz.

„Halten Sie Abstand“

Ihre wichtigste Botschaft stellt sie voran. „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen“, sagt Merkel und warnt die Bürger davor, sich von rechtsextremen Hetzern zur Teilnahme an deren rassistischen Kundgebungen verleiten zu lassen. „Folgen Sie denen nicht, die zu solchen Demonstrationen aufrufen; zu oft sind Vorurteile, zu oft sind Kälte, ja sogar Hass in deren Herzen. Halten sie Abstand.“ Gegen die Pöbler und Gewalttäter werde man mit der „ganzen Härte des Rechtsstaates“ vorgehen. Merkeln geht anders.

Von einer Ost-West-Debatte hält sie allerdings gar nichts. Auch nicht von anderen Erklärungsmustern für rechte Hetze, die ja „immer zugleich mit Verständnis verbunden“ seien. Die Kanzlerin appelliert stattdessen an das Mitgefühl der Menschen. Man möge sich das Schicksal der Menschen vor Augen führen, die in einem Lkw in Österreich und anderswo von „skrupellosen Schleppern zugrunde gerichtet“ werden. Bilder seien das, „die unsere Kraft übersteigen“. Und die Ängste, die jene aushalten müssten, die aus Kriegsregionen ihre Familien in sichere Regionen retten wollen, würden „uns wahrscheinlich schlichtweg zusammen brechen lassen.“ So empathisch sieht man Merkel selten.

Merkel ist überzeugt: „Wir schaffen das.“

Mag sein, dass dies auch eine Lehre aus der Begegnung mit einem palästinensischen Flüchtlingsmädchen ist, das Merkel vor ein paar Wochen mit hilflos wirkenden Gesten zu trösten suchte, was ihr viel Kritik eintrug. Aber ihr Vortrag lässt zumindest keine Zwischenräume und keinen Interpretationsspielraum. Das Recht auf Asyl und das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung in Deutschland auch jener, die am Ende ihres Verfahrens kein Asylrecht erhalten, seien ohne wenn und aber zu achten. Daran lässt Merkel keinen Zweifel.

Merkel lobt das Engagement der Menschen, die vor Ort in zahlreichen Willkommensinitiativen ehrenamtlich helfen wollen und sichert ihnen zu, dass die Politik sie dabei nicht im Stich lassen werde. Bis zum 24. September werde die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Tisch legen, an diesem Tag ist ein Treffen zwischen Bund und Ländern geplant, auf dem Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen. Mehr Geld soll vom Bund an die Kommunen fließen. Wie viel, will Merkel noch nicht sagen, nur soviel: es werde sich sicherlich nicht „um einen einstelligen Millionenbetrag“ handeln. Asylverfahren, auch Abschiebungen, sollen beschleunigt werden. Außerdem würden dringend Erstaufnahmelager benötigt. Hier sei Pragmatismus statt Regelwut gefragt. Es sei ja richtig zu sagen, „deutsche Gründlichkeit ist super, aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gefordert“, sagt Merkel. Abweichungen von strengen Emissions- und Brandschutzverordnungen müssten möglich sein, um die Unterbringung in Zelten im Winter wenn möglich verhindern zu können.

Angesichts dessen erscheint ihr ein Einwanderungsgesetz „nicht vordringlich“. Merkel hat zwar jüngst Sympathie dafür erkennen lassen, aber sie weiß, dass sie ihre Partei nicht überfordern darf. Wenn man die akuten Probleme gelöst habe, könne man „über das Thema wieder sehr nüchtern sprechen“. Eins nach dem anderen.

Die Kanzlerin gibt die Mutmacherin, verweist auf Hochwasser, Atomausstieg, die Wiedervereinigung. All dies habe man geschultert. Da werde man ja wohl auch mit dieser Herausforderung fertig: „Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das“.