Deutschlands beste Tennisspielerin Angelique Kerber will in diesem Jahr die French Open gewinnen. Dabei geht sie geschwächt in das Vorbereitungsturnier in der Stuttgarter Porsche-Arena.

Stuttgart - In der Riege der Superheldinnen ist die Weltranglistenerste Naomi Osaka nur eine Randfigur. In zweiter Reihe steht die Japanerin auf dem bunten Imagebild zum Porsche Tennis Grand Prix, das die Stars des Turniers im Gladiatoren-Stil inszeniert. Die Rolle der strahlenden Frontfrau ist für eine andere reserviert: für Angelique Kerber, die im hautengen rotgelben Kostüm zentral in der Mitte posiert und vor Kraft nur so zu strotzen scheint.

 

In Wirklichkeit sieht die Weltranglistenfünfte aus Kiel gerade ganz anders aus.

Kerber ist angeschlagen

Mit glasigen Augen, verschnupfter Nase und hängenden Schultern sitzt Angelique Kerber (31) am Montag unterm Dach der Porsche-Arena und berichtet über ihren Gesundheitszustand. Es gehe ihr zwar von Tag zu Tag besser, sagt sie, seit Samstagabend könne sie auch wieder trainieren – allzu groß aber seien ihre Erwartungen an die kommenden Tage nicht. Wenn es nicht „mein Heimturnier in Stuttgart“ wäre, wenn sie sich nicht so darauf gefreut hätte, dann würde sie es gar nicht erst probieren.

Vor zwei Wochen hat sich Angelique Kerber beim Rückflug vom Turnier in Monterrey (Mexiko) erstmals unwohl gefühlt. Es folgte ein ausgewachsener grippaler Infekt, „das volle Programm“, die Teilnahme am Fedcup musste sie absagen. „Ich habe versucht, mich so gut wie möglich zu erholen.“ Im Bett verfolgte der große Star des deutschen Frauentennis, wie die Kolleginnen um Julia Görges mit dem 3:1-Sieg in Lettland den Klassenverbleib schafften.

Kein Freilos in Runde eins

Am Wochenende reiste Kerber nach Stuttgart, wo die Turniersiegerin von 2015 und 2016 anders als in den Vorjahren kein Freilos in der ersten Runde hat. In diesen Genuss kommen nur die vier in der Weltrangliste am besten platzierten Spielerinnen (neben Osaka die Rumänin Simona Help sowie die Tschechinnen Petra Kvitova und Karolina Pliskova). Als Fünfte trifft Kerber zum Auftakt auf die kroatische Weltranglisten-25. Donna Vekic, Schützling ihres langjährigen Trainers Torben Beltz. Immerhin wurde ihr Wunsch erhört, nicht schon am Dienstag, sondern erst am Mittwoch antreten zu müssen.

„Ich nehme diese Herausforderung an“

Zwangspausen kommen nie zum richtigen Zeitpunkt – in diesem Fall aber lag sie besonders ungünstig. Nicht die verpasste Fedcup-Reise nach Riga war das Problem, sondern die zweiwöchige Trainingsunterbrechung zum Start der Sandplatzsaison. Die rote Asche ist der Belag, den Kerber am wenigsten mag – doch liegt in dieser Saison gerade darauf ihr Hauptaugenmerk. Ihr großes Ziel sind die French Open, der einzige Grand-Slam-Titel, der in ihrer Sammlung noch fehlt. 2016 gewann sie in Melbourne und New York, 2017 folgte der ersehnte Triumph in Wimbledon. Vergangenes Jahr unterlag sie in Paris im Viertelfinale der späteren Siegerin Simona Halep. Jetzt also der nächste Anlauf zum Sieg in Rolland Garros, der ihre Karriere endgültig krönen würde. „Ich nehme diese Herausforderung an – und versuche gleichzeitig, mich nicht zu sehr unter Druck zu setzen.“ Der Umgang mit dem Druck und den Erwartungen – er gehörte nicht immer zu den größten Stärken der hochsensiblen Angelique Kerber.

Nach dem Aufstieg zur Weltranglistenersten 2016 folgte im Jahr darauf ein langes Tief, in dem sie öfter verlor, als gewann – und rätselte, woran das bloß liegen könnte. Fulminant besiegte die Norddeutsche im vergangenen Sommer in Wimbledon die Selbstzweifel. Der Sieg beim wichtigsten Turnier der Welt, von dem sie ihr ganzes Leben geträumt hatte – „er hat in mir einiges bewirkt“. Gelassener sei sie geworden und habe jetzt mehr Selbstvertrauen.

Zerwürfnisse mit Trainern

Zum Jahresende trennte sich Kerber dennoch wegen persönlicher Differenzen von ihrem belgischen Erfolgstrainer Wim Fissette und engagierte den früheren Weltranglistenfünften Rainer Schüttler (42). „Er ist ein anderer Coach als die vorigen, denn er hat selber gespielt und weiß genau, wie das ist, auf dem Platz zu stehen und mit den Drucksituationen umzugehen.“

Zumindest „ganz okay“ findet Kerber die Resultate der bisherigen Zusammenarbeit: Achtelfinale in Melbourne, Halbfinals in Doha und zuletzt Monterrey, dazu das verlorene Finale in Indian Wells gegen die 18 Jahre alte Sensationssiegerin Bianca Andreescu aus Kanada. Es ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann, auch wenn der erste Turniersieg noch fehlt. „Es geht immer schlechter, es geht immer besser“, sagt Kerber, „insgesamt bin ich zufrieden“.

In Stuttgart wäre Angelique Kerber schon glücklich, wenn sie die erste Runde übersteht. „Jedes Spiel zählt“, sagt sie. Bis Paris bleiben danach noch gut vier Wochen.