Tätliche Angriffe, wüste Beschimpfungen, unzufriedene Bürger: Der Ton gegenüber vielen Politikern wird immer rauer. Wie erleben die Bürgermeister im Kreis Ludwigsburg die Situation? Und wie sieht es in den Rathäusern aus?

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Kreis Ludwigsburg - Mitte Januar wird auf das Büro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in seinem Wahlkreis in Halle/Saale geschossen. Es ist nicht das erste Mal, dass der SPD-Politiker angegriffen wurde. Im Internet seien Anfeindungen gegen ihn fast schon Normalität geworden, sagt Diaby. Christoph Landscheidt, Bürgermeister von Kamp-Lintfort am Niederrhein, erhält seit kurzem Personenschutz, weil der Staatsschutz ihn als gefährdet einstuft. Der SPD-Politiker hatte wegen Drohungen einen Waffenschein beantragt und damit eine Debatte über die Sicherheit von Kommunalpolitikern ausgelöst.

 

Aus der Luft gegriffen ist sie nicht, wie die Zahlen belegen. Seit dem Jahr 2017 haben Gewaltattacken auf Gemeinderäte, Bürgermeister und deren Mitarbeiter in ganz Deutschland um ein Viertel zugenommen. Im vergangenen Jahr gab es hierzulande beinahe 1300 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger – sowohl von links als auch von rechts. Wie aber bewerten Ortsvorsteher die Situation im Kreis Ludwigsburg?

Morddrohung aus Ostdeutschland

Die Bürgermeister der 39 Kommunen im Kreis sind sich einig: Der Ton ist rauer geworden, tätlich angegriffen wurde aber noch niemand.

Mit am härtesten hat es Nico Lauxmann (CDU), Bürgermeister von Schwieberdingen getroffen. Weil er sich für die Unterbringung von Geflüchteten stark gemacht hatte, wurde Lauxmann per E-Mail und in anonym verfassten Briefen massiv angefeindet. Auch seine Familie wurde bedroht, der Staatsschutz ermittelte. Wer die Schreiben verfasst hatte, fanden die Beamten aber nicht heraus. Lauxmann berichtet auch von „hohem Aggressionspotenzial einzelner Bürger“ gegenüber Verwaltungsmitarbeitern. Einige Personen, die sich besonders schlimm aufführten, wurden angezeigt oder ihnen wurde Hausverbot im Rathaus erteilt. Teilweise begleiteten Polizeibeamte Rathausmitarbeiter zu Terminen.

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Einen ähnlichen Fall wie Lauxmann schildert Markus Kleemann (CDU). Zahlreiche diffamierende Mails und sogar eine Morddrohung erreichten ihn etwa zur gleichen Zeit wie Lauxmann, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Kurios: Sie kamen nicht von Bürgern aus den Orten Oberstenfeld, Gronau oder Prevorst, denen Kleemann vorsteht, sondern aus Ostdeutschland. Auf dem als rechtsextremistisch eingestuften Blog „Politically Incorrect“ hatte ein anonymer Autor berichtet, dass in Oberstenfeld kein Geld für Kinder und Alte da sei, aber Flüchtlinge im Luxus leben würden. „Da wurde aus verschiedenen Phrasen eine dritte, falsche Geschichte gemacht“, sagt Kleemann. In dieser Zeit hat der 35-Jährige aber auch die Erfahrung gemacht, dass sich Leute vom Gegenteil überzeugen lassen. Einige Mails beantwortete er und erklärte seine Sicht der Dinge. Überhaupt sei der persönliche Kontakt zu Bürgern nach wie vor am wichtigsten, heißt es aus fast allen Rathäusern. Dabei lasse sich immer noch am sachlichsten diskutieren. In manchen Fällen wollen die Bürger aber gar nicht diskutieren, wie das Beispiel Kornwestheim zeigt.

Dort griff ein Kritiker von Oberbürgermeisterin Ursula Keck (parteilos) gleich zu drastischen Mitteln und zeigte die OB anonym an. Die Vorwürfe gegen die Kornwestheimer Rathauschefin waren politisch motiviert und erwiesen sich schnell als haltlos. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Nachforschungen bereits während der Vorermittlungen wieder ein. „Die Verrohung der Sprache nimmt auch im öffentlichen Bereich, in politischen Auseinandersetzungen und in den sozialen Medien zu“, sagt Keck zum Arbeitsumfeld.

Im Ludwigsburger Rathaus gibt es inzwischen Notknöpfe

So empfinden das nicht alle ihrer Amtskollegen. Jürgen Kessing (SPD) hat in Bietigheim-Bissingen „keine massiven Anfeindungen“ erlebt. Ludwigsburgs Oberbürgermeister Matthias Knecht (parteilos), der auch regelmäßig mit Bürgern auf dem Wochenmarkt Gespräche führt, beschreibt die Atmosphäre als „sachlich und fair“ – auch bei kontroversen Themen.

Ganz so entspannt ist die Lage bei seinen Mitarbeitern im Rathaus nicht. Zumindest bei denen, die viel mit Bürgern in Kontakt sind. „Tätliche oder zumindest verbal aggressive Angriffe sind nicht an der Tagesordnung, kommen aber vor“, heißt es aus dem Rathaus. Oft werden Betrunkene oder psychisch kranke Menschen ausfällig, sie lassen ihren Frust auch mal an Büromöbeln oder Wänden aus. Die Rathausmitarbeiter lernen auf Seminaren, in solchen Situationen zu deeskalieren. Wird es doch einmal brenzlig, gibt es inzwischen Notknöpfe, mit denen eine Alarmkette ausgelöst werden kann sowie Büroräume, die Besucher nicht einfach so betreten können. Die Stadt möchte das Sicherheitskonzept noch erweitern.

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In Marbach hatte die Verwaltung im vergangenen Jahr Probleme mit sogenannten Reichsbürgern, die die Bundesrepublik als Staat nicht anerkennen. Das treffe dann auch auf örtliche Satzungen und Verordnungen zu, so Bürgermeister Jan Trost (parteilos). Beispielsweise hätten Reichsbürger sich geweigert, Papiere beim Einwohnermeldeamt abzuholen. Die Veränderung im politischen Spektrum seien sicherlich ein Grund dafür, dass sich der Umgang untereinander und die Debattenkultur verschlechtert haben, sagt Steffen Bühler (CDU), Bürgermeister in Besigheim. „Die AfD politisiert und polarisiert sehr stark.“ Im vergangenen Jahr ist Bühler mehrfach beleidigt worden, nachdem die Stadt entschieden hatte, eine geplante Veranstaltung der Alternative für Deutschland in der Stadthalle „Alte Kelter“ wegen falscher Angaben abzusagen.

Aber es gibt noch einen anderen Grund für die verrohenden Sitten: die sozialen Medien. Dort werde „respektloser, fordernder und ungerechter“ kommuniziert, sagt beispielsweise Steffen Bühler. „Eher kritischere Themen werden gerade in Facebook dazu genutzt, um seine Meinung kundzutun“, sagt Remsecks Bürgermeister Dirk Schönberger (parteilos). „Wenn etwas gut läuft, wird nicht kommentiert, gibt es ein strittiges Thema, haben alle eine Meinung dazu.“

Braucht es immer einen Sündenbock?

Gerd Maisch (Freie Wähler), Oberbürgermeister von Vaihingen/Enz, sieht auch generellere Veränderungen in der Gesellschaft. Er meint, die Eigenverantwortung vieler Bürger lasse nach. „Es muss bei immer mehr Bürgern immer jemanden geben, der ‚schuld’ ist, nie trägt man selbst Verantwortung für sich oder seine Situation.“ Der 56-Jährige sieht die Verhältnisse – wie viele seiner Amtskollegen auch – aber insgesamt gelassen. „Dass Entscheidungen kritisiert werden und nicht alle jede Entscheidung für richtig halten, gehört zum politischen Geschäft dazu.“