Angststörung Lehrerin überwindet Panikattacken - „Man kommt da wieder raus“

Herzrasen und Schwindelanfälle – typische Symptome einer Panikattacken. Foto: KI/Midjourney/Montage: Pichlmaier

Christine Jirikovsky litt an einer schweren Panikstörung. Durch einen Klinikaufenthalt hat sie gelernt, wie sie besser damit umgehen kann. Eine Sache hat ihr besonders geholfen.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Atemnot, Schwindel, Herzrasen, Taubheitsgefühle oder Kribbeln in Armen und Beinen – die Symptome hatte Christine Jirikovsky (52) aus Pfullingen schon eine ganze Weile. Sie lebte damit. Sie suchte unzählige Ärzte auf, niemand fand etwas. Während der Coronapandemie musste ein Familienmitglied für längere Zeit ins Krankenhaus, sie musste sich mehrere Wochen intensiv kümmern. Funktionieren, sagt die Grundschullehrerin heute.

 

Sie kümmert sich um alle in der Familie, geht jeden Tag zur Schule und macht ihren Unterricht. Die Kollegen loben sie, dass sie trotz des schweren Schicksalsschlags in der Familie noch „da steht“.

Auch der große Garten half Christine Jirikovsky über eine schwierige Phase hinweg. Foto: privat

Plötzlich bricht sie in der Schule zusammen

Kurz darauf folgt der Knall. Sie steht vor ihrer zweiten Klasse als sie plötzlich Herzrasen und Schwindelanfälle bekommt, sie kann nur noch verschwommen sehen. „Ich dachte, das ist jetzt ein Herzinfarkt“, erzählt Jirikovsky. Sie ruft ihren Mann an, rennt noch zu ihrer Rektorin und sagt, sie müsse dringend zum Arzt. Der macht allerlei Checks und kann sie beruhigen, körperlich sei alles in Ordnung. „Und ich saß da, hab meine Beine nicht mehr gespürt, alles hat gekribbelt, aber irgendwie konnte ich trotzdem noch laufen“, so die zweifache Mutter. Ihr Arzt habe dann mitgeteilt, was sie habe. Die Diagnose: Panikstörung. Er gibt ihr ein Beruhigungsmittel und überweist sie zu einer Psychiaterin.

Zwei Tage später sitzt sie dort. Wieder hat sie heftiges Herzrasen, zittert, kann sich nicht bewegen. „Ich dachte, dieses Mal sterbe ich wirklich hier“, erzählt Jirikovsky. Die Psychiaterin habe sie dann erst einmal ins Wartezimmer gesetzt und gesagt: „Das geht vorbei.“

Panikattacke geht vorbei

Und, überraschend für Jirikovsky, es ging vorbei. Die Panik hat tatsächlich nachgelassen, sie ist nicht gestorben. „Und das war dann tatsächlich auch der Gamechanger für mich“, sagt sie. Endlich habe sie gewusst, was ihr fehlt. Ihre ganzen Symptome haben endlich Sinn ergeben. Es folgte die erleichternde Erkenntnis: „Ich bin nicht verrückt.“

Wie viele Panikpatienten hat sie zunächst leicht naiv gedacht, dass mit der Diagnose alles gut wird. „Ich habe der Ärztin auch gleich gesagt, ich möchte bald wieder in die Schule“, sagt Jirikovsky. Sie habe niemand zur Last fallen wollen, der Schule, ihrem Ehemann und ihren Kindern auch nicht.

Bloß niemandem zur Last fallen

Funktionieren. Etwas schaffen. Viele Panikpatienten haben diesen Gedanken permanent im Kopf. Bloß nicht versagen, bloß niemand zur Last fallen, bloß nicht mal, etwas nicht schaffen. Da fängt meistens der Teufelskreis an. Zu der Angst kommt recht schnell die Angst vor der Angst. Was, wenn ich nächstes Mal wieder in der Schule Panik habe? Oder im Kino? Oder auf der Autobahn? Was ist, wenn? Die Frage beschäftigt Angstpatienten oft rund um die Uhr.

Viele beginnen, möglichst alles, was Panik auslösen könnte, zu vermeiden. Irgendwann ist dies fast alles. „Mein Radius wurde schnell sehr eng“, sagt Jirikovsky. Die Psychiaterin habe deshalb nur gelacht über ihren Wunsch, möglichst schnell wieder zu arbeiten. Sie schlägt ihr eine Tagesklinik vor.

Auf den Platz in der Tagesklinik in Tübingen muss Jirikovsky ein paar Wochen warten. In der Zeit habe sie nahezu nichts hinbekommen. Sie war zu unruhig, um zu sitzen, zu lesen, selbst Hände waschen löst Panik aus. Das Medikament Escitalopram, ein Antidepressivum aus der Gruppe selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), hilft kaum. Im Gegenteil, anfangs wird die Panik sogar noch schlimmer. SSRI brauchen oft einige Wochen, bis sie zu wirken anfangen. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wird es besser? Aber es wurde immer nur schlechter!“

Nur der große Rasenmäher macht ihr keine Angst

Das Einzige, was ihr in diesen Wochen hilft, ist ihr großer Garten. Dort schafft sie mit „schweren Geräten“ und powert sich aus. Mäht den Rasen und werkelt vor sich hin. Als sie in die Tagesklinik kommt, fühlt sie sich „wie ein kleines Kind“.

„Dann habe ich entschieden, mein Ego an der Garderobe abzugeben und alles mitzumachen, was mir dort an Hilfe angeboten wird.“ Sie konnte nicht stillsitzen und warten? Die Ärzte tragen ihr auf, genau das zu üben. Der Schwindel stresst sie? Sie muss sich auf einem Drehstuhl so lange hin- und herdrehen, bis ihr richtig schwindelig wird. Zweimal am Tag muss sie das machen. Erst unter Aufsicht, dann allein. Das hilft.

Panikattacken sind körperlich harmlos

Die Konfrontation von Ängsten und angstauslösenden Situationen ist die Methode der Kognitiven Verhaltenstherapie (VT) bei Angst- und Panikstörungen. Das Ziel ist, einen Lerneffekt zu erreichen und das übernervöse Gehirn wieder umzuprogrammieren. Sich den Ängsten zu stellen und in jeder Situation so lange zu verharren, bis die Panik nachlässt. Denn, allein biologisch ist unser Körper so angelegt, dass er irgendwann auch wieder runterfährt und die Panik nachlässt.

Bloß nicht versagen. Viele Panikpatienten haben diesen Gedanken permanent im Kopf (Symbolbild).  Foto: IMAGO/peopleimages.com

Panikattacken sind zwar körperlich harmlos, doch Betroffene fühlen sich eben oft, als schwebten sie in Lebensgefahr. Diese Gedanken gilt es kognitiv wieder zu ändern und zum Beispiel so lange auf der Autobahn zu fahren, bis die Angst nachlässt und sich der Gedanke einstellt: Es passiert ja gar nichts.

Nichts tun und Gedanken aushalten

In der Klinik fängt Christine Jirikovsky an, das zu üben, was ihr am schwersten fällt: Da zu sitzen und ihre Gedanken auszuhalten. Und einfach nur zu warten. Nichts zu tun. Und zu atmen.

Und das wird dann auch ihre bevorzugte Strategie im Kampf gehen die Ängste in ihrem Kopf. Atmen und Achtsamkeit. Sie eignet sich verschiedene Strategien an, wie die 5-Sinne-Übung. Sie konzentriert sich auf fünf Dinge, die sie sieht, vier Dinge, die sie hört, drei Dinge, die sie fühlt, zwei Dinge, die sie riecht und eine, die sie schmeckt. Das lenkt den Fokus um. Weg von der Panik, hin ins Hier und Jetzt.

Achtsamkeit ist ihr Weg raus aus der Angst

In den zehn Wochen in der Klinik eignet sie sich einige dieser Strategien an, wie zum Beispiel auch die tiefe Bauchatmung. Wer in Panik ist, atmet oft flach und hektisch, das kann mitunter körperliche Symptome erst verstärken. Sie kreiert sich ihre eigenen SOS-Strategien. „Die Achtsamkeit war wirklich der Schlüssel bei mir“, sagt sie.

Nach der Klinik fängt sie wieder in der Schule an, macht aber auch Kurse und eine Zusatzausbildung als Achtsamkeitscoach bei einer Heilpraktikerschule. Inzwischen gibt sie auch Kurse dazu. „Das kann keine Therapie ersetzen“, betont sie. Aber vielen helfe es, wie ihr, in die Entspannung zu finden und sich zu beruhigen.

„Aber wenn man so weit wie ich war, dann hilft nur die Klinik und Medikamente, das war quasi mein Rettungshubschrauber“, sagt sie. Aber sie glaubt auch, wenn man es gar nicht so weit kommen lässt, sich frühzeitig Hilfe holt, können auch kleinere Strategien wirksam sein. „Jeder muss da seinen eigenen Schlüssel finden“, sagt sie. Auch brauche es einfach sehr viel Geduld, es gebe immer wieder Rückschläge.

Christine Jirikovsky hatte viele Rückschläge zu überwinden. Foto: privat

Hoher Anspruch an sich selbst

Neben der klassischen Konfrontationstherapie gibt es viele Möglichkeiten, mit einer Angststörung umzugehen. Nicht für jeden taugen Atem- und Achtsamkeitsübungen, oft hilft es auch, das eigene Leben umzustellen, sich viel zu bewegen, auf eine gesunde Ernährung zu achten und vor allem auch zu lernen, nicht alles so wichtig zu nehmen. Die Psychotherapeutin Franca Cerutti, die in ihrem Buch „Psychologie to go“ unter anderem über Angststörungen aufklärt, sagte einmal in ihrem gleichnamigen Podcast: Gerade für Panikpatienten sei es hilfreich, sich grundsätzlich eine etwas gleichgültigere Haltung gegenüber dem Leben anzueignen. Gelassenheit zu lernen. Nicht über-pflichtbewusst zu sein.

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass Christine Jirikovsky in Tübingen in der Tagesklinik war. Während sie danach schnell wieder zurück in die Schule konnte, haben andere Dinge länger gebraucht. Diesen Sommer war sie zum ersten Mal wieder im Kino. Für viele keine große Sache.

„Man kommt da wieder raus“

Für Menschen mit Panikstörung oft eine große Hürde: es ist dunkel, laut, vielleicht sitzt man in der Mitte und muss dann alle anderen Besucher bitten aufzustehen, wenn man Panik bekommt. „Inzwischen kann ich mir da dann gut zureden, ich achte auf meine Atmung und beruhige mich“, sagt sie und ergänzt lachend: „Ich rede dann mit mir wie mit einem kleinen Kind, aber es hilft.“

Was sie anderen Betroffenen mitgeben möchte: „Man kommt da wieder raus. Ein Weg zurück in ein normales Leben ist zu schaffen.“ Sich rechtzeitig Hilfe zu holen, sei entscheidend.

Achtsamkeit und SOS-Tipps bei Panik

Selbsthilfe
Christine Jirikovsky hat nach ihrer Erkrankung eine Ausbildung zur Achtsamkeitscoachin absolviert. Ihre Tipps für andere Angstpatienten finden sich auf ihrer Website: https://espritdesherzens.de/

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