Günther Oettinger ist der neue Haushaltskommissar. Vizepräsident der Kommission wird er wohl vorerst nicht. Beim Meinungsaustausch im Parlament schäumen viele EU-Abgeordnete.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Zehn Minuten lang ist der Vortrag, mit dem Günther Oettinger (CDU) um die Sympathien der EU-Abgeordneten wirbt. Er macht das hoch professionell, ernst, konzentriert, auf Deutsch, kaum schwäbelnd. Der 63-Jährige lässt sich die Anspannung nicht anmerken, unter der er beim „Meinungsaustausch“ mit den Mitgliedern von drei Ausschüssen im Europa-Parlament steht. Dieses Gesprächsformat ist immer dann vorgesehen, wenn ein Kommissar in der laufenden Wahlperiode mit einem anderen Arbeitsgebiet betraut wird. Oettinger, bisher für den digitalen Binnenmarkt zuständig, ist ab Jahresbeginn Kommissar für Haushalt und Personal.

 

Wohl noch nie in der Geschichte der EU ist ein derartiges Treffen so minutiös vorbereitet worden. Von beiden Seiten. Einige Abgeordnete hatten sich vorgenommen, Oettinger bei dem für Montagabend angesetzten Treffen zu „grillen“, wie eine unangenehme Befragung im EU-Jargon heißt. Auf elf Din-A-4-Seiten hatten die Abgeordneten ihre Fragen an Oettinger aufgeschrieben, seine Antworten, die vorab vorlagen, füllen 56 Seiten.

Unmut noch nicht verraucht

Noch immer ist der Unmut über Oettinger nicht verraucht. Die unglücklichen Passagen seiner Rede Ende Oktober in Hamburg erregen viele liberale, linke und grüne Abgeordneten, die ihm Rassismus vorwerfen: Vor Unternehmern hatte er vor den wirtschaftlichen Herausforderungen Chinas gewarnt und dabei den Begriff „Schlitzaugen“ benutzt. Außerdem warb er für die richtige Schwerpunktsetzung in der Politik und sprach satirisch von der „Pflicht-Homoehe“.

Für Ärger sorgt zudem sein Mitflug im Charterjet des Stuttgarter Industrielobbyisten Klaus Mangold im Mai zu einer Konferenz in Budapest, zu der die ungarische Regierung eingeladen hatte. Kritiker behaupten, dass dies gegen die Transparenzregeln der Kommission verstoße, die Kommissaren die Annahme von Geschenken im Wert von über 150 Euro verbieten. All das kommt dann nur noch am Rande vor.

Kurze Entschuldigung

Kurz entschuldigt sich Oettinger noch einmal förmlich für die umstrittenen Passagen. „Es war nicht meine Absicht, jemanden zu verletzen.“ Er kündigt dann an, in seiner neuen Funktion als für das EU-Personal zuständiger Kommissar beim Thema Vielfalt in die Offensive zu gehen. Er werde in den kommenden Monaten „eine Mitteilung zu Vielfalt und Inklusion vorlegen, in der die wichtigsten Maßnahmen aufgeführt sind, die die Kommission bis 2019 ergreifen möchte.“ Und weiter: Er werde garantieren, „dass die Mitteilung kommt und dass die vorgeschlagenen Maßnahmen in vollem Umfang umgesetzt werden, sobald sie in Kraft sind.“

Auch Frauenfeindlichkeit war ihm angekreidet worden. Oettinger verteidigt sich mit dem Hinweis, dass er in seiner Amtszeit als Digitalkommissar die beiden wichtigsten Posten an Frauen vergeben habe. Beide Top-EU-Beamtinnen hätten nun Führungskompetenz für jeweils mehr als 1000 Mitarbeiter.

In der Offensive

Oettinger wird von seinen Kritikern zudem vorgeworfen, er treffe sich zu viel mit Lobbyisten. Mit diesem Kritikpunkt geht offensiv um. Er stehe in Kontakt zu einem breiten Spektrum von gesellschaftlichen Gruppierungen. Dies sei ein „legitimes und notwendiges Element des Entscheidungsprozesses“. Im Übrigen sei die Verteilung der Kontakte auf Lobbyisten aus den Reihen der Wirtschaft sowie aus Reihen der Nichtregierungsorganisationen ausgewogen. „Nichtregierungsorganisationen haben nicht in demselben Maße Treffen beantragt wie Verbände und Unternehmen.“

Im Vorfeld des Treffens hatte zusätzlich für Aufregung gesorgt, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits vor dem Meinungsaustausch mit dem Parlament Oettinger in seiner neuen Funktion ernannt hat. Dies sei eine Provokation und Missachtung des Parlaments, dem ein Mitspracherecht zustehe, heißt es bei Grünen und Sozialisten.

Parlament kann Beförderung nicht verhindern

Unserer Zeitung liegt aber der Brief von Juncker vom 31. Oktober an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) vor, in dem der Aufstieg Oettingers zum Haushaltskommissar für Ende des Jahres angekündigt wird. Offensichtlich hat es das EU-Parlament nur zwei Monate lang versäumt, einen Termin für das Gespräch anzuberaumen. De facto kann das Parlament die Beförderung Oettingers zum Haushaltskommissar nicht verhindern. Oettingers Vorgängerin Georgieva war auch Vize-Präsidentin der Kommission. Daher war spekuliert worden, dass Oettinger auch bei der Hierarchie in die Fußstapfen der Bulgarin tritt. Wie in Brüssel zu hören ist, wird daraus in absehbarer Zukunft aber nichts.