Eine Gesetzesnovelle der baden-württembergischen Landesregierung sorgt für Aufregung in Wirtschaft und Wissenschaft. Im Zentrum des Konflikts steht die Ingenieurkammer. Diese versichert nun, keine Pflichtmitgliedschaft aller Ingenieure im Land anzustreben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der von Grün-Rot gewünschte Beschluss des Stuttgarter Landtags am nächsten Mittwoch ist wohl kaum noch zu verhindern. Dennoch wird weiter heftig gestritten über das baden-württembergische Ingenieurgesetz, das als Teil des Bauberufsrechts novelliert werden soll. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), der Maschinenbauverband VDMA und die Wissenschaft machen weiter Front gegen das Vorhaben – auch am Donnerstag bei einem letzten Schlagabtausch vor dem Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Landtags. Speziell die Ingenieurkammer und die Arbeitgeber Baden-Württemberg machen sich für die Veränderungen stark.

 

Hauptziel der Novelle ist es, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen von Architekten und Ingenieuren zu erleichtern. Diese Vorgabe einer EU-Richtlinie ist weithin akzeptiert. Bemängelt wird jedoch, dass die Zuständigkeit zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse auf die Ingenieurkammer verlagert werden soll. Diese „verfügt nicht über mehr Know-How für diese Aufgaben als die aktuell zuständigen Regierungspräsidien“, rügt VDI-Geschäftsführer Paul Martin Schäfer. Dann kommt er zum Kern seiner Kritik: Vieles in dem Gesetz sei die Vorstufe eines allgemeinen Berufsausübungsrechts für Ingenieure aller Fachrichtungen. Kurzum: Der VDI fürchtet eine Zwangsmitgliedschaft für alle seine Mitglieder – eine „Verkammerung“, die Pflichtbeiträge und weitere Auflagen zur Folge hätte. Bisher gibt es eine Pflichtmitgliedschaft nur für die gut 2700 „Beratenden Ingenieure“. Die Kammern hätten den „bundesweit einmaligen“ und mit anderen Ländern „unabgestimmten Sonderweg“ mit geschickter Lobbyarbeit vorbereitet, rügt Schäfer.

Verwunderung über die hitzige Diskussion

Deren Hauptgeschäftsführer Daniel Sander wundert sich über die Aufregung kurz vor dem Landtagsbeschluss. Schließlich rede die Kammer darüber mit dem VDI schon seit Juni. „Die Regelungen stellten keinen Sonderweg dar und stünden einer bundesweiten Harmonisierung nicht entgegen, sondern förderten diese vielmehr“, versichert er. Wie in zwölf anderen Bundesländern solle im Südwesten die Kammer für die Anerkennung der ausländischer Qualifikationen zuständig sein. Dadurch werde Fachkompetenz gebündelt, die Regierungspräsidien würden entlastet. Seine Kammer sei „dafür kompetent“, sagt Sander. Nach Verabschiedung des Gesetzes werde sie einen Anerkennungsausschuss aus unabhängigen Juristen, Hochschullehrern und Praktikern einrichten. Höhere Gebühren als von den Regierungspräsidien bisher verlangt werde es nicht geben.

Sander will auch nicht den Vorwurf gelten lassen, dass die Ingenieurkammer als Entscheidungsinstanz über die Hochschulen gestellt werde. „Die Kammer bezweckt keine generelle Genehmigung zum Führen der Berufsbezeichnung ,Ingenieur’“, sagt er. Dennoch sehen die Universitäten in dem Gesetz einen Eingriff in ihre Autonomie und Lehrfreiheit, wie ihre Vertreter – der Rektor der Uni Stuttgart, Wolfram Ressel, und der Pforzheimer Professor Uwe Dittmann – im Ausschuss deutlich machen. Der Kammer mangele es an „fachlicher Expertise“, all die ihr künftig übertragenen Aufgaben zu übernehmen, kritisieren sie.

Die Kammer hat die Freiberufler im Blick

„Abwegig“ nennt Sander ferner den Verdacht, dass alle Ingenieure „verkammert“ werden sollen – dies werde „weder jetzt noch in Zukunft“ angestrebt. Die „Verkammerung“ wäre eine Aufgabe des Gesetzgebers. Sinnvoll und legitim wäre hingegen eine gesetzliche Mitgliedschaft für Freiberufler, was zu 99 Prozent Ingenieure im Baubereich betreffe, die zum Teil hoheitliche Aufgaben wahrnähmen – bei denen gebe es bisher keine Ordnungsmöglichkeiten. Dass sich die Kammer die bis zu 14 000 freiberuflich tätigen Ingenieure einverleiben will, hatte sie zuvor nie so klar gesagt.

In der Industrie tätige Ingenieure seien nicht tangiert, bekräftigt Sander. Eine entsprechende Grundsatzerklärung mit den Industrieverbänden im Land werde derzeit abgestimmt. Diese mögen damit beruhigt werden. Offen bleibt jedoch, wie die (vielfach von den Unternehmen ausgelagerten) Ingenieurtätigkeiten der Industrie von den Bautätigkeiten eindeutig abgegrenzt werden sollen. Daher fürchtet der VDI künftig noch mehr Begehrlichkeiten der Kammer bei den Dienstleistern der Konzerne.