Das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer galt schon lange als schwierig – nun droht im Streit über die Migrationspolitik ein neuer Tiefpunkt.

Berlin - Das ist nicht nur irgendeine Terminverschiebung, wie sie auf dem politischen Parkett immer wieder einmal passiert. Es ist eine kleine politische Bombe: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Montagnachmittag völlig überraschend die für den heutigen Dienstag geplante Vorstellung seines „Masterplans“ zur Asylpolitik abgesagt. Hintergrund sind anhaltende Meinungsverschiedenheiten mit der Bundeskanzlerin.

 

Der Dissens zwischen den beiden Kontrahenten entzündet sich nicht am zentralen Vorhaben des Innenministers. Die sogenannten „Ankerzentren“, die Seehofer für Asylbewerber mit schlechter Bleibeperspektive einrichten will, werden von Angela Merkel mitgetragen. Der Streit ist über Seehofers Absicht entbrannt, Flüchtlinge ohne Papiere und abgeschobene Asylbewerber, die nach Deutschland zurück wollen, an der Grenze abzuweisen.

Merkel ist gegen Alleingänge

Die Bundeskanzlerin hatte sich am Sonntag bereits bei ihrem Auftritt in der Talkshow „Anne Will“ gegen deutsche Alleingänge ausgesprochen. Sie werde sich „mit ganzer Kraft für ein neues europäisches Asylrecht einsetzen“, da sie „nur im europäischen Rahmen die wirkliche Lösung sehe“. Tatsächlich hätte eine Praxis der konsequenten Zurückweisung an der Grenze etwa für das Nachbarland Österreich unmittelbare Konsequenzen. Im Kanzleramt fürchtet man, Deutschland könnte eine Kettenreaktion auslösen, die dazu führt, dass am Ende die Ersteinreiseländer Italien und Griechenland vor unlösbaren Herausforderungen stünden.

Österreich übernimmt im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz wird am Dienstag in Berlin Gespräche führen und kommt auch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer zusammen. Die Kanzlerin hatte bereits am Montag mit ihm telefoniert. Offenbar ist bei Merkel dabei die Zuversicht gestiegen, eine neue gesamteuropäische Asylpolitik vereinbaren zu können. In der Vorstandssitzung der CDU nannte Merkel am Montag die Migrationspolitik „eine Schicksalsfrage für Europa“. Die Probleme seien „durch nationale Alleingänge nicht zu lösen“.

Eine „Schicksalsfrage“ ist die Migrationspolitik aber auch für die CSU, jedenfalls wird das dort so gesehen. Im Herbst stehen in Bayern Landtagswahlen an und die Umfragen sehen die absolute Mehrheit für die CSU gefährdet. In der Union gehen deshalb schon Befürchtungen um, dass es erneut zu einem ruinösen Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer kommen könnte. Bereits beim quälenden Dauerkonflikt um eine Obergrenze für Flüchtlinge hatten sich die Meinungsverschiedenheiten lähmend auf beide Unionsparteien ausgewirkt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte am Wochenende klar Position bezogen: „Wenn bei jemandem von vorne herein klar ist, dass er überhaupt keine Chance hat, hierbleiben zu dürfen, dann würde ich ihn an der Grenze zurückweisen“, sagte Söder. Unterstützung erhielt die CSU von der „Werte-Union“, einem konservativen Kreis innerhalb der Union. „Mit der Werte-Union hoffen viele Mitglieder und Wähler von CDU und CSU, dass Seehofer endlich ernst macht, sich gegen Frau Merkel durchsetzt und den Kontrollverlust an den deutschen Grenzen beendet“, sagte der Vorsitzende Alexander Mitsch unserer Zeitung.

Die FDP spricht von einer „Zerreißprobe“

Der Koalitionspartner SPD hat Seehofer nach der abgesagten Präsentation scharf kritisiert. „Mit großem Erstaunen“ reagierte Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, auf die Absage der Vorstellung des Masterplans. „Seehofers Masterplan wird zum Desasterplan der Union“, sagte Lischka. Die SPD fordere seit Wochen vom Minister, „endlich seine konkreten Vorstellungen zum Thema Asyl und Ankerzentren zu präsentieren“. Jetzt sei er mit seinen Ideen „offensichtlich nicht einmal bei der Bundeskanzlerin durchgedrungen“.

FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae sprach von einer „Zerreißprobe“ für die Union. Auch nach über zwei Jahren sei keine gemeinsame Haltung in der Flüchtlingsfrage vorhanden. Die Zurückweisung von Flüchtlingen, die in einem anderen europäischen Land registriert worden sind, müsse „in Abstimmung mit den anderen EU-Mitgliedstaaten Normalfall sein“, sagte Thomae.