In Ulm bahnt sich ein Prozess an, der eine besonders krasse Form von Tierquälerei aufarbeiten könnte. Tieraktivisten haben ihn ins Rollen gebracht.

Merklingen - Das Fernsehformat „Stern TV“ schien Friedrich Mülln die richtige Plattform zu sein, um mit seinen Skandalbildern möglichst viele Zuschauer zu erreichen. So kam es dann auch im vergangenen Oktober. Zu sehen waren schwer zu ertragende Bilder von Schweinen mit angefressenen Ohren, geschwollenen Gelenken, auch Kadaver. Die Aufnahmen stammten aus einem Stall in der Nähe von Merklingen (Alb-Donau-Kreis), der Landwirt schmückte sich gleich mit drei Verbraucher-Gütesiegeln.

 

Mülln ist der Gründer des Augsburger Vereins Soko Tierschutz, jener Organisation, die unter anderem einen Pfleger mit einer Kamera in die Affenversuchsabteilung des Tübinger Max-Planck-Instituts schleuste. Der öffentliche Druck, den die Bilder leidender Tiere auslösten, brachte diese Art der Forschung im vergangenen Jahr zu Fall. Auch im Fall Merklingen sieht Mülln einen Erfolg für den Tierschutz. Die Ulmer Staatsanwaltschaft hat gegen den 54-jährigen Schweinemäster, dessen Ehefrau und seine beiden Söhne Anklage beim Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erhoben.

Die beiden Ställe des Betriebs seien zwischen 2013 und 2016 ständig überbelegt gewesen, was zu einer sehr hohen Sterberate geführt habe. Die fehlende Pflege der Tiere habe „zu katastrophalen hygienischen Zuständen“ und „zum Teil schwersten Verletzungen“ geführt, so die Vorwürfe. Nach einer Behördenkontrolle Mitte Oktober ließ das Landratsamt Alb-Donau-Kreis mehr als 160 verletzte Tiere töten. Am 16. November wurde der Betrieb schließlich dichtgemacht.

Mittendrin: Ein Amtsveterinär

Allerdings könnte das Landratsamt, das so entschlossen einschritt, selber in den Skandal verwickelt sein. Nach der Überzeugung der Ulmer Staatsanwaltschaft hat ein 43-jähriger Amtstierarzt der Kreisbehörde versucht, die Aufdeckung der Missstände zu vertuschen. Ihn hatte das Landratsamt zuerst ausgeschickt, in Merklingen nach dem Rechten zu sehen. Den ermittelnden Polizeibeamten soll der Tierarzt nach der Rückkehr erzählt haben, die von der Soko Tierschutz erhobenen Vorwürfe seien „zu 98 Prozent nicht zutreffend“.

Eine zweite, größer angelegte Kontrolle des Betriebs bestätigte jedoch die grausamen TV-Bilder. Damit konfrontiert, soll der Amtstierarzt erzählt haben, ihm sei vom Merklinger Landwirt ein zweiter Stall verheimlicht worden. Da nach Ansicht der Strafverfolger beide Ställe in katastrophalem Zustand waren, wurde gegen den Tierarzt Strafbefehl wegen versuchter Strafvereitelung erlassen.

Wann es zum Prozess kommt, steht nach Auskunft eines Sprechers des Ulmer Amtsgerichts noch nicht fest. Im Augenblick werde über die Zulassung der Klage, die Ende November eingegangen sei, beraten. Sollte es so weit sein, könnte sich – wider Erwarten – auch der Veterinär vor Publikum verantworten müssen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft hat der 43-Jährige Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Der Handlungsraum des Amtsgerichts reicht von der Prozesseröffnung bis zur Einstellung des Verfahrens.

Schon andere Fälle von Ämterverquickung

Für das Landratsamt gilt in Bezug auf den Veterinär derzeit die „Unschuldsvermutung“, wie ein Sprecher mitteilt. Der Mann ist damit offenbar weiter im Dienst. Der Sachverhalt werde zusammen mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz aufgearbeitet. Ein Sprecher des Ministeriums deutet auf Anfrage die Besonderheit der Untersuchung an. „Das ist ein überaus schlimmer Einzelfall. Uns ist nichts Vergleichbares bekannt“, sagt er.

Für den Tierschützer Friedrich Mülln sind enge Verbindungen zwischen Massentierhaltern und den Kontrollbehörden nichts Neues. Er verweist auf einen im Jahr 2014 aufgedeckten Fall von Tierquälerei in einem Putenmastbetrieb im Raum Dillingen (Bayern). Tiere waren dort rechtswidrig mit Prügeln und Zangen getötet worden. Die dafür verantwortliche Unternehmerin hatte einen interessanten Halbtagsjob: Sie war Mitarbeiterin der Kreisbehörde Dillingen, Abteilung Tierhaltung und Tierschutz. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde sie versetzt.

Der Tieraktivist musste schon Strafe zahlen

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhängte Strafbefehle, Versetzungen – mehr geschehe ertappten Tierquälern meist nicht, sagt der Aktivist Mülln. Umso bemerkenswerter sei die Entschlossenheit der Ulmer Justiz. „Wir sind hocherfreut, dass endlich mal einer dieser Täter auf der Gerichtsbank Platz nehmen muss.“ Das sei in dieser Form bundesweit einmalig. Mülln fordert, dass die Amtskontrolleure von Tierhaltungsbetrieben überregional gesteuert und unabhängig von den Kreisbehörden werden. Es müsse aufhören, dass Tierhalter und Amtsveterinäre „sich am Stammtisch treffen“.

Mülln selber ist übrigens nicht straffrei geblieben. Die Staatsanwaltschaft forderte 100 Euro Ordnungsgeld wegen Hausfriedensbruchs im Merklinger Schweinestall. „Das zahle ich gerne“, sagt er.