Es ist der 375. Verhandlungstag, 12.02 Uhr, als im NSU-Prozess ein kleines Wörtchen angebracht ist: endlich. Nach mehr als vier Jahren hat die letzte Phase des Mammutverfahrens begonnen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

München - Es ist eine der kuriosesten Unterbrechungen, die es bei dem seit mehr als vier Jahren andauernden NSU-Prozess gegeben hat. Sehr ausführlich hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Anträge der Verteidiger gerade abgelehnt, die das Plädoyer der Bundesanwaltschaft gerne aufgezeichnet haben wollten. Mehr als eine Stunde haben die Anwälte danach beraten, und als die Sitzung um 11.50 wieder eröffnet werden sollte, rechnete wohl jeder im Saal mit einem Befangenheitsantrag. Der kam aber nicht.

 

„Keine Anträge – dann beginnen wir mit den Plädoyers: Sie haben das Wort“, sagt Götzl mit einem Kopfnicken zur Bank, auf der die Anklagevertreter sitzen. Doch daraus wird erst einmal nichts. „Dann muss ich erst meine Unterlagen holen“, so ein sichtlich überrumpelter Bundesanwalt Herbert Diemer. Schmunzeln im Saal, weitere zehn Minuten Pause.

Und dann, um 12.02 Uhr, es ist der 375. Prozesstag, können die Plädoyers beginnen. 22 Stunden soll der Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft dauern, verteilt auf mehrere Tage. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe lauscht aufmerksam. Die 42-Jährige hat eine Brille auf, macht sich immer wieder Notizen. Was sie hört, kann ihr nicht gefallen.

Fehler von Behörden aufzuklären ist Sache der Politik

Mit seiner Einleitung will Bundesanwalt Diemer all den Kritikern der Anklagebehörde den Wind aus den Segeln nehmen. Die Beweisaufnahme habe vielleicht nicht immer das mediale und politische Interesse befriedigen können, so Diemer. Dem seien durch rechtsstaatliche Gesetze Grenzen gesetzt. Es sei jedoch vollkommen unzutreffend, wenn kolportiert werde, der NSU-Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt.

Ob das ausreicht, darf bezweifelt werden. Es sind an diesem Prozesstag überdurchschnittlich viele Angehörige der Opfer auf der Tribüne, nach dem überraschenden Ende der Beweisaufnahme in der vergangenen Woche hatten viele von ihnen nicht rechtzeitig die Reise nach München organisieren können. Jetzt schon. Viele der Tribünengäste – und eine sehr große Gruppe der nicht Anwesenden – bemängeln, dass die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran gezeigt habe, die Hintergründe des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ aufzuklären. Jenseits der drei mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe bleibe vieles im Dunkeln, so der häufig erhobene Vorwurf. Fehler von Behörden aufzuklären sei Sache der Ausschüsse und der Politik, so Diemer, „eine Strafbarkeit staatlicher Stellen“ habe sich in dem Verfahren nicht ergeben, sonst hätte man dem Gesetz entsprechend reagiert.

Mundlos und Böhnhardt brachten sich im November 2011 um. Zschäpe will von den Morden immer erst im Nachhinein erfahren haben. Mehrere hundert Zeugen wurden im Gerichtssaal A 101 vernommen, Dutzende Sachverständige gehört. Die Anklage, so Diemer, habe sich in allen Punkten im wesentlichen bestätigt. Für Beate Zschäpe ebenso wie für die vier Mitangeklagten. Für Zschäpe bedeutet dies, dass sie von der Bundesanwaltschaft weiterhin als Mittäterin betrachtet wird. Zschäpe sei „Mitgründerin und Mitglied“ der terroristischen Vereinigung NSU gewesen, so Diemer. Juristisch gesehen ist dies einer der Knackpunkte des Verfahrens. Mittäter sind laut Strafgesetzbuch Menschen, die eine Tat gemeinschaftlich begehen. Zschäpe war bei den zehn Morden nicht persönlich dabei. Nicht notwendig, weil sie so sehr in der Organisationsstruktur eingebunden war, argumentiert die Bundesanwaltschaft. Ob das Gericht dies ebenso sieht wird sich erst beim Urteil zeigen.

Urteil nach Sommerpause erwartet

Diemer jedenfalls lässt keine Zweifel an seiner Bewertung aufkommen. Aus rechtsextremistischer Ideologie heraus habe die Gruppe gemordet, „um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten“. Die Persönlichkeit der Opfer habe bei deren Auswahl keine Rolle gespielt, allein die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe sei entscheidend gewesen. Das gelte für die griechischen und türkischen Mordopfer, während die in Heilbronn ermordete Polizistin Michele Kiesewetter „als Repräsentantin des verhassten Staates“ sterben musste. Verschwörungstheorien bezeichnet er als „Fliegengesumme in den Ohren“.

Unterstützt wird der Bundesanwalt im Prozess von den beiden Oberstaatsanwälten Anette Greger und Jochen Weingarten. Greger führte die Ermittlungen gegen Zschäpe und beschreibt in München deren Werdegang auf dem Weg in den Untergrund. Zschäpe sei „Tarnkappe“ und „Stabilitätsfaktor“ der Gruppe und wollte um jeden Preis, dass Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos nach begangenen Taten „unversehrt zu ihr zurück kehrten“.

Ein Mal lässt die Hauptangeklagte den Vortrag anhalten, sie könne der Geschwindigkeit nicht folgen, lässt Zschäpe ihren Verteidiger mitteilen. Dann lässt der Anwalt des Mitangeklagten Ralf Wohllben seinen Mandanten amtsärztlich untersuchen, weil dieser Konzentrationsschwierigkeiten geltend macht. Beide müssen sich jedoch weiter anhören, dass nach Ansicht Gregers „die Taten ohne Zschäpe nicht möglich gewesen wären“.

Nach der Sommerpause dürften auch die Nebenkläger zu Wort kommen, anschließend folgen die Plädoyers der Verteidiger. Und irgendwann wird das Oberlandesgericht dann tatsächlich sein Urteil sprechen.