Mit den Anklagen gegen zwei Ex-Chefs und 13 Professoren wird die Beamtenhochschule Ludwigsburg von der Vergangenheit eingeholt. Die Ex-Rektorin Stöckle kann sich rehabilitiert sehen, Wissenschaftsministerin Bauer dürfte politisch unter Druck geraten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein sorgenvolles Interview, das in der Dezemberausgabe des Magazins der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg erschien. Freimütig gab der neue Rektor, Wolfgang Ernst, vier Studierenden Auskunft über seine Seelenlage. „Zurzeit habe ich das Gefühl, dass viele Probleme der Vergangenheit wieder hochkommen.“ Man müsse „sehr aufpassen“, dass der Blick zurück nicht die Zukunft verbaue. Er wünsche sich, dass mit den früheren Querelen „schnellstmöglich“ abgeschlossen werde, dazu könne er alle Beteiligten nur „eindringlich auffordern“. Aber schon im nächsten Satz klang Ernst wieder resignativ: „Die Schatten der Vergangenheit lasten doch noch schwer auf der Hochschule.“

 

Seine Ahnung sollte sich wenig später bestätigen. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den früheren Rektor Walter Maier, den damaligen Kanzler und 13 Professorinnen und Professoren erhebt. Nach gut zwei Jahre dauernden Ermittlungen wirft sie den beiden einstigen Führungsleuten Untreue vor und den überwiegend noch aktiven Lehrkräften Beihilfe dazu. Es geht um offensichtlich rechtswidrige Zulagen, die Maier ihnen kurz vor seiner Pensionierung Ende 2011 gewährte. Damals wechselten die 13 Professoren die Besoldungsklasse, von der Kategorie C mit dem höheren Grundgehalt in die Kategorie W mit niedrigerer Basis, aber mehr Spielraum für Extrazahlungen. Unterm Strich verbesserten sie sich monatlich um etwa 500 Euro – in Summe sind das bis heute fast eine halbe Million Steuergelder. Das Problem war, vereinfacht beschrieben, die Begründung des Aufschlags: Statt strikt nach Leistung, wie vorgeschrieben, wurde er allein nach Lebens- und Dienstalter vergeben.

„Wurde bei Ihnen auch durchsucht?“

Passte das zu einer Ausbildungsstätte für Beamte, die in puncto Rechtstreue vorbildlich sein sollte? Schon damals gab es Zweifel, auch unter denen, die bedacht werden sollten. Zwei Professoren verzichteten deshalb auf den Wechsel, einer dokumentierte seine Bedenken schriftlich. Die nun angeklagten 13 anderen, darunter etliche Juristen, wollen sich gutgläubig auf Rektor und Kanzler verlassen haben. Der einstige Hochschulchef Maier, von dem zur Anklage keine Stellungnahme zu erhalten war, verwies wiederum auf das Landesamt für Besoldung und Versorgung. Dieses habe „die Rechtmäßigkeit der Zulagen schriftlich bestätigt“, teilte er bereits 2014 mit. Indes, die Hochschule widersprach dem umgehend, und das Landesamt wollte es nie bestätigen.

Für die Staatsanwaltschaft, die sich „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht äußern will, hat sich der Verdacht der Untreue offenbar erhärtet. Sie war 2014 nach Berichten unserer Zeitung aktiv geworden – Berichten über die Zulagenpraxis selbst und über die Maßgabe bei der internen Aufarbeitung, die Justiz aus dem Spiel zu lassen. Gut zwei Jahre lang ermittelte ein erfahrener Oberstaatsanwalt zusammen mit dem Landeskriminalamt. Es gab Razzien an der Hochschule und in Privatwohnungen, zahlreiche Zeugen wurden vernommen, der Fall füllt inzwischen Dutzende von Aktenordnern. An der Hochschule war das Verfahren natürlich ein Dauerthema. „Wurde auch bei Ihnen durchsucht?“, mussten sich Professoren von Studenten fragen lassen.

Oberster Steuergewerkschafter begrüßt Prozess

Wochenlang rangen Ankläger und Verteidiger um den Abschluss der Ermittlungen. Gegen den Ex-Rektor und den Ex-Kanzler erwog die Staatsanwaltschaft Strafbefehle wegen Untreue. Die Verfahren gegen die Professoren wegen Beihilfe sollten gegen Auflagen eingestellt werden; Geldbußen und Rückzahlungen hätten sich pro Kopf auf fünfstellige Beträge summiert. Zudem sollte der rechtswidrige Teil der Zulagen nicht weiter gezahlt werden. Doch die Beschuldigten wollten sich nicht darauf einlassen. Lässt das Landgericht die Anklagen zu, kommt es zum Prozess. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft und Ludwigsburger Hochschulrat Thomas Eigenthaler würde das begrüßen: Er finde es gut, dass die Sache nicht mit einem „Kuhhandel“ ende, schrieb er am Wochehende auf Facebook. Nun müsse ein unabhängiges Gericht entscheiden. Bis dahin gelten alle 15 Verdächtigten als unschuldig.

Eine Beteiligte dürfte sich indes schon durch die Anklagen rehabilitiert sehen, auch wenn sie weiter schweigt: die frühere Rektorin Claudia Stöckle. Nach einer lange schwelenden Führungs- und Vertrauenskrise war sie vor zwei Jahren abgelöst worden, gegen ihren Willen. Anfang 2012 hatte die Juristin die Nachfolge Maiers angetreten – und sich bald unbeliebt gemacht. Zum Teil lag das sicher an ihrem Führungsstil, den Kritiker als wenig diplomatisch beschrieben. Vor allem aber lag es an ihrem Auftrag, an der Hochschule „aufzuräumen“. An Missständen mangelte es nicht – vorneweg beim Rechenzentrum, das sich in einem desolaten Zustand befand. In einer Notaktion wurde es mit jenem der Pädagogischen Hochschule fusioniert, was bereits erste Kritiker auf den Plan rief: Stöckle liefere die Beamtenschmiede an die PH aus, hieß es.

Recht auf Parken in der Brandschutzzone?

Zunehmend schwierig wurde es, als die neue Rektorin die Privilegien von altgedienten Professoren aufs Korn nahm. Einer war es beispielsweise gewohnt, seinen Privatwagen in einer Brandschutzzone abzustellen. Als ihm das untersagt wurde, erstattete er Strafanzeige wegen Nötigung gegen Stöckle. Diese wurde natürlich abgewiesen, ebenso wie die Beschwerde dagegen. Ein anderer sah sich plötzlich mit kritischen Fragen zu dem Buchhandel konfrontiert, den er zusammen mit seiner Frau an der Hochschule betrieb. Auch durch den offiziösen Anstrich liefen die Geschäfte offenbar glänzend. Zuvor hatten sich irritierte Studenten erkundigt, warum die Rabatte für Sammelbestellungen eigentlich nicht an sie weitergegeben würden.

Vollends zur Reizfigur wurde Stöckle, als sie sich nach dem Hinweis eines Insiders an die Aufarbeitung der umstrittenen Zulagenpraxis machte. Der Argwohn war offenbar berechtigt: Zwei Gutachter bestätigten unabhängig voneinander, dass die Aufschläge eindeutig rechtswidrig seien. Sie ließen sich auch nicht in rechtmäßige „umdeuten“, wie das in vier anderen Fällen gelang. Aus Gründen des Vertrauensschutzes aber wurden sie weiter bezahlt. Etliche der Betroffenen empfanden das als Affront. Kein Wunder, dass sie zum Kern der Aufständler gehörten, die schon früh auf die Ablösung der Rektorin hinarbeiteten. Mehrere der „Wechsler“ durften später sogar in den Hochschulgremien mit darüber abstimmen – wohl nicht ganz unbefangen.

Zweifelhafte Rücksicht auf den „Hochschulfrieden“

So sehr Stöckle durch die Anklagen bestätigt wird, so heikel sind diese für ihre prominenteste Gegenspielerin: Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Die Grünen-Politikerin hatte einst selbst erkannt, dass in Ludwigsburg etliches im Argen lag. Als es zu haarig wurde, ging sie auf Distanz. Erst fühlte sich die Rektorin von ihr allein gelassen, dann geradezu bekämpft. Zuletzt betrieb Bauer unverhohlen ihre Ablösung. Als Vehikel diente eine von ihr eingesetzte, offiziell unabhängige Kommission.

Gerade an einer Hochschule für Staatsdiener, betonte die Ministerin regelmäßig, dürfe es bei der Rechtstreue „keinen Rabatt“ geben. Doch das Verhalten ihres Ressorts und ihrer Beamten passte schlecht dazu. Schon früh war allen Beteiligten klar, dass die Zulagenpraxis ein Fall für die Staatsanwaltschaft und den Landesrechnungshof wäre. Doch auf die Amtszeit des Altrektors sollte kein schlechtes Licht fallen, und Ermittlungen hätten nur den „Hochschulfrieden“ gefährdet. Also entschied man, Justiz und Finanzkontrolleure aus dem Spiel zu lassen. Direkt und indirekt ist mehrfach dokumentiert, wie gerade Vertreter des Wissenschaftsministeriums darauf drangen. So warnte ein Beamter Bauers laut Protokoll vor einem offiziellen Bericht, den man „an weitere interne und externe Stellen (unter anderem an die Staatsanwaltschaft) weiterleiten“ müsste. Lieber solle man die Unregelmäßigkeiten intern aufarbeiten. Auch das konnten die Staatsanwälte später in der Zeitung lesen.

Ministerin Bauer politisch in Bedrängnis

Den Abschluss der Ermittlungen will Bauers Sprecher nicht kommentieren, wie stets bei „laufenden Verfahren“. Es gelte aber, was man schon früher gesagt habe: Das Strafrecht sei stets die „Ultima Ratio“, also das letzte Mittel. Ehe man Anzeige erstatte, müsse wegen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn der Sachverhalt sorgfältig geklärt sein; das sei damals noch nicht der Fall gewesen. Bauers Apparat spielt bei der Aufklärung ebenfalls eine fragwürdige Rolle. Er ließ die Ministerin öffentlich verkünden, alle rechtswidrigen Zulagen seien inzwischen in rechtmäßige umgewandelt worden. Dabei stand schon Wochen vorher das Ergebnis der internen Prüfung in der Zeitung, das sei in den besagten 13 Fällen gar nicht möglich. Die Folge war eine peinliche Korrektur. Je mehr die Grünen-Ministerin politisch in Bedrängnis geriet, desto weiter schob sie die Verantwortung von sich weg und nahm andere ins Visier – etwa den einstigen Vorsitzenden des Studentenausschusses. Schon früh hatte der angehende Finanzbeamte an den Landtag appelliert, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Nicht nur bei den Zulagen, auch sonst seien Rechtsverstöße in Ludwigsburg „an der Tagesordnung“.

Prominenten Beistand bekam er im vorigen Herbst. Da rügte auch der Landeschef des Beamtenbunds, Volker Stich, das „zögerliche und hinhaltende Verhalten der Ministerin“ und plädierte für eine parlamentarische Aufarbeitung. Die Vorwürfe erforderten „absolute Aufklärung und Transparenz“, betonte Stich. Das könne ein Sonderausschuss leisten. Bauer könne daraus sogar „gestärkt“ hervorgehen. Die Opposition zeigte sich aufgeschlossen, verwies aber auf die laufenden Ermittlungen. Nach deren Abschluss sehe man klarer. Sobald die Staatsanwaltschaft die Anklagen offiziell bestätigt, sind also die Fraktionen am Zug – vielleicht schon diese Woche.

Der Schlussstrich lässt auf sich warten

Aus Ludwigsburg gab es zunächst keinen Kommentar zu den Anklagen; bisher hatte die Hochschule stets auf die „Unschuldsvermutung“ gepocht. Die Hoffnung des neuen Rektors, bald einen Schlussstrich ziehen zu können, dürfte damit gedämpft werden. Ohne eine umfassende und professionelle Aufarbeitung, wie sie den Studenten etwa in den Vorlesungen zur Organisationspsychologie gelehrt wird, dürfte die Beamtenschmiede nicht zur Ruhe kommen. Vielleicht hatte Wolfgang Ernst das ja gemeint, als er im Interview sagte: „Wenn die Vergangenheit uns lähmt, die Zukunft zu gestalten, dann hat die Hochschule schon verloren.“