Haben Porsche-Aktionäre wegen des Dieselskandals Anspruch auf Schadenersatz? Vor anderthalb Jahren hat das Landgericht dazu ein Musterverfahren angeregt. Nun lehnt das OLG dieses ab – verbunden mit scharfer Kritik.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart wird voraussichtlich kein Musterverfahren eröffnen, um Schadenersatzansprüche von Aktionären der Porsche Automobil Holding SE wegen des VW-Dieselskandals zu klären. Dies hat der 20. Zivilsenat unter dem Vorsitz der OLG-Präsidentin Cornelia Horz jetzt in einem sogenannten Hinweisbeschluss angekündigt. Nach der vorläufigen Einschätzung des Senats ist ein zweites Musterverfahren neben dem am OLG Braunschweig anhängigen unzulässig, weil es darin um den gleichen Sachverhalt – nämlich den Dieselskandal – gehen würde.

 

Zugleich üben die Richter scharfe Kritik an dem Beschluss, mit dem das Landgericht dem OLG bereits vor anderthalb Jahren mehrere Rechtsfragen zur Klärung vorgelegt hatte. Dem zuständigen Richter Fabian Richter Reuschle, der durch die umfassende Aufarbeitung der Motormanipulationen bekannt geworden ist, werfen Horz und ihre Kollegen schwere Fehler vor. Vonseiten der Klägeranwälte wird die Gerichtspräsidentin ihrerseits massiv attackiert. „Sollte das OLG an seiner Rechtsauffassung festhalten, wäre dies schlicht skandalös“, sagte Andreas Lang von der Frankfurter Kanzlei Nieding Barth unserer Zeitung. Sämtlichen geschädigten Porsche-Aktionären würde damit effektiver Rechtsschutz verweigert.

Das Wissen der „Doppelmandatsträger“

Nach dem Bekanntwerden der Motormanipulationen hatten die Aktien der Porsche SE, die die Mehrheit an VW hält, ebenso wie die VW-Aktien massiv an Wert verloren. Die Kläger werfen Porsche vor, die Anteilseigner nicht früher über die Probleme unterrichtet zu haben; damit habe die Holding gegen Informationspflichten für den Kapitalmarkt verstoßen. Sie verweisen insbesondere darauf, dass Vorstandsmitglieder von VW gleichzeitig im Vorstand der Porsche SE saßen – vorneweg der frühere Konzernchef Martin Winterkorn. Die Porsche SE bestreitet Pflichtverletzungen und weist die Ansprüche zurück. Insgesamt fordern mehr als 150 Kläger von Porsche rund eine Milliarde Euro Schadenersatz. Die gegen VW geltend gemachten Ansprüche, die demnächst vor dem OLG Braunschweig verhandelt werden, summieren sich auf etwa neun Milliarden Euro. Nach erheblichen Verzögerungen beginnt dort am 10. September die mündliche Verhandlung.

Die Frage, ob ein zweites Musterverfahren in Stuttgart zulässig ist, ist unter Juristen umstritten. Zum gleichen Sachverhalt wäre dies nicht möglich. Richter Reuschle wollte vom OLG aber klären lassen, ob eine eigene Pflichtverletzung von Porsche vorliegt. Mit seinem ausführlich begründeten Beschluss vom Februar 2017 legte er dem Gericht zudem die Frage der „Wissenszurechnung“ bei jenen Managern vor, die gleichzeitig den Vorständen von VW und der Porsche SE angehörten. Die „Doppelmandatsträger“ hätten ihr Insiderwissen beiden Seiten zugänglich machen müssen, argumentieren die Kläger. Die Beklagten verweisen dagegen auf Verschwiegenheitspflichten gegenüber Volkswagen.

Gleiche Fragestellung wie in Braunschweig?

Das OLG hält ein Musterverfahren in Stuttgart voraussichtlich für unzulässig, weil es darin im Kern um die gleichen Fragen wie in Braunschweig ginge. In dem 20-seitigen Beschluss wird dies an etlichen Stellen deutlich gemacht. So heißt es, die Umstände seien „in jeder Hinsicht deckungsgleich“, es gehe um die „Kenntnis von jeweils identischen Umständen“, die Rechtsfragen seien „einheitlich zu beantworten“ und stellten sich mit Blick auf Volkswagen und Porsche gleichermaßen. Von der Abgrenzung, die das Landgericht vorgenommen hat, zeigt sich der Senat nicht überzeugt.

Zugleich rügt er ungewöhnlich scharf den Beschluss von Richter Reuschle. Dieser enthalte „gewichtige, kaum ausräumbare Widersprüche“ und eigne sich damit kaum als Grundlage eines Musterverfahrens. Zudem leide er an „schwersten verfahrensrechtlichen Mängeln“: Zuständig für die Vorlage wäre nicht der Einzelrichter, sondern die gesamte Zivilkammer gewesen. Zu den Hinweisen können die Parteien nun bis zum 7. September Stellung nehmen.

Klägeranwalt attackiert OLG-Chefin

Der Klägeranwalt Lang griff umgekehrt das Oberlandesgericht scharf an. Die Anmeldung von Ansprüchen im Braunschweiger Musterverfahren helfe geschädigten Porsche-Aktionären „überhaupt nicht weiter“, sagte er unserer Zeitung. Dort werde die Frage der Wissenszurechnung im Konzern wegen des Doppelmandats von Winterkorn nämlich gar nicht geklärt. „Wenn das OLG in seinem Hinweisbeschluss anderes behauptet, ist dies schlicht falsch“, kommentierte Lang. Selbst bei einem positiven Ausgang des Braunschweiger Verfahrens würden Porsche-Aktionäre leer ausgehen und müssten einen neuen Rechtsstreit führen; zudem drohten Ansprüche zum Jahresende zu verjähren. Der einzig richtige Weg wäre es aus Langs Sicht gewesen, wenn das OLG das Musterverfahren eröffnet und dann mit Blick auf Braunschweig ausgesetzt hätte. So hätten Porsche-Aktionäre – wie vom Gesetzgeber gewollt – vom Kostenvorteil eines Musterverfahrens partizipieren können. „Der Präsidentin des OLG Stuttgart ist dies offensichtlich egal“, folgerte der Anwalt. „An den Haaren herbeigezogen“ nannte er die Begründung, das Musterverfahren könne nicht von einem Einzelrichter angestoßen werden. Dies stehe nirgendwo geschrieben; vielmehr würden Vorlagebeschlüsse „in vielen Fällen“ von Einzelrichtern erlassen – was das OLG Stuttgart eigentlich wissen müsste.