In der ARD-Talkshow Anne Will wird SPD-Finanzminister Olaf Scholz die Demontage von Andrea Nahles vorgeworfen – und eine 23-jährige Klimaschutz-Aktivistin wird Opfer von Sticheleien.

Stuttgart - Diesen Mann kann nichts aus der Fassung bringen. Die emotionslose, nüchterne Sachlichkeit von Olaf Scholz, SPD-Finanzminister im Bundeskabinett, ist angesichts der tiefen SPD-Krise schon bewundernswert. Bei Anne Will ist er am Sonntagabend der Stargast in einer Talkrunde, die sich mit dem Rücktritt von Nahles befasst und der Frage, wie es nun weitergehe mit der Großen Koalition. Scholz lehnt das Amt der Parteiführung ab, da er die Arbeitsbelastung in der Doppelfunktion als Finanzminister als zu hoch empfinden würde, und dann spricht er davon, dass die Suche nach einer neuen Parteiführung nur „vernünftig organisiert“ werden müsse. Wird dann alles gut? Mit Vernunft und Organisation geht in der Welt von Scholz offenbar alles.

 

Nahles und ihre „funktionärshafte und unbeherrschte Art“

Zunächst aber mal geht die Welt-Journalisten Claudia Kade – die Nahles eine „funktionärshafte und manchmal unbeherrschte Art“ attestiert, die aber nicht ursächlich sei für die SPD-Krise sei – den Bundesfinanzminister direkt an: „Sie haben sich beteiligt an der Demontage von Frau Nahles!“ Kade verweist auf den Umstand, dass Scholz mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil unter Ausschluss der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Nahles kurz vor der Europawahl sein Grundrentenkonzept vorstellte – und sie bezeichnet die SPD als „die brutalste Partei, die wir in Deutschland haben“.

An Scholz aber perlen derartige Vorwürfe ab. Er stellt sich als Vertrauensperson der Genossin Nahles da, ihr Rücktritt habe ihn „total betroffen“ gemacht, sie habe sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht, er habe mit ihr zuvor „die ganze Woche darüber gesprochen“ – den Inhalt der Gespräche könne er aber hier nicht preisgeben, das wäre Vertrauensbruch.

CDU-Mann Röttgen kritisiert die eigene Partei

Auch der recht selbstbewusst und fast fröhlich auftretende Norbert Röttgen (CDU), einst Bundesumweltminister unter Merkel, ist ja einmal „demontiert“ worden – er wird das später noch anklingen lassen. Aber erst mal weist er darauf hin, dass die Nahles selbst jemanden demontiert habe – nämlich den SPD-Bundesvorsitzenden Franz Müntefering. Ansonsten gefällt sich Röttgen in der Rolle des Schlaumeiers, der der SPD eine „Stabilitätsverpflichtung“ zuschreibt und ihr eine „Katharsis“ empfiehlt. Ein Ende der GroKo sieht Röttgen jedenfalls nicht nahen. „Wir haben ja kein Problem weniger, alle Probleme bleiben.“

Eigentlich sollte das Elend der SPD in dieser Sendung wohl im Mittelpunkt stehen, aber ohne Not schwenkt Röttgen dann erstaunlicherweise auf eine Strecke der Kritik gegen seine eigene Partei – die CDU. Die GroKo müsse nun prüfen, „was haben wir substanziell zu bieten“, und was den Klimaschutz bei der CDU anbelange – überrascht er mit einem Geständnis: „Wir sind nicht auf der Höhe der Zeit. Wir haben den Klimaschutz total vernachlässigt und waren bei dem Thema schon mal weiter.“ Natürlich beruft sich Röttgen da auf seine eigene Zeit als Bundesumweltminister („Ich habe gebrannt und gekämpft für das Thema Klimaschutz“), jetzt sei der Klimaschutz aber „zum Waisenkind“ seiner Partei geworden. Hier hätte Anne Will eigentlich nachfragen könne, ob sich Röttgen nun zu Höherem berufen fühlt. Tut sie aber nicht. Die Umweltaktivistin Luisa Neubauer schlägt immerhin gleichmal in die von Röttgen angelegte Kerbe: „Ihre Minister blockieren doch seit Monaten die CO2-Steuer!“

Die junge Klimaschützerin steht alleine da

Röttgen geht davon aus – im Einklang mit Scholz – , dass die Regierung bis zur Sommerpause ein Klimaschutzpaket vorlegen werde sowie eine Europainitiative, aber auf die Frage, ob die SPD sich aus der GroKo zurückziehe, wenn das Klimapaket nicht kommt, gibt es keine Antwort außer der von Olaf Scholz: Man werde sektorielle Klimaziele bekommen und bei der CO2-Steuer „eine vernünftige Lösung“ - da fühlt man sich wieder erinnert an den alten Spitznamen: Scholzomat.

Die Diskussion plätschert dann noch etwas vor sich hin, Aufsehen erregend sind eigentlich nur kleine Sticheleien von Moderatorin Will (53) gegen die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer (23). Neubauer will am Anfang gar nicht über SPD-Personalfragen sprechen, sondern nur über Klimaschutz sofort. Will belehrt sie dann über das Thema der Sendung und – jetzt noch mal zum mitschreiben: „Wir sprechen darüber, weil Andrea Nahles heute zurückgetreten ist.“ Verstanden?

Zum Ende der Sendung legt dann Cerstin Gammelin („Süddeutsche Zeitung“) eine Basis für etwas Neubauer-Bashing, in dem sie am Beispiel ihres Heimatortes Freiberg in Sachsen schildert, wie dort Zehntausende im Bergbau „Schwarze Pumpe“ arbeiteten – „das war ihr Leben und ihr Lebenssinn“ – und „jetzt ist da alles tot, die Häuser sind leer“. Und ob Fridays-for-Future da nicht mal hingehen und mit den Leuten sprechen wolle: Für Anne Will eine Steilvorlage: „Ja Frau, Neubauer, haben Sie das mal gemacht? Sind Sie da mal hin?“ Klimaschützerin Neubauer murmelt daraufhin, man plane mal eine Demo im Osten – „ganz bewusst“. Und Klimapolitik sei nicht verhandelbar, wir bräuchten radikale Emissionsreduktionen. Von der GroKo-Krise war nicht mehr die Rede, nur eine Klimaschützerin stand ziemlich allein da – das war ein bleibender Eindruck der Sendung.