Zehn Jahre nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar sind die größten Buchlücken wieder geschlossen. Eines der wertvollsten Exemplare wurde unlängst entdeckt.

Weimar - Das Buch galt seit dem Brand als verschollen: Doch unter den stark brandgeschädigten Drucken der Anna Amalia Bibliothek wurde eines der wertvollsten Werke der Weimarer Sammlung wieder gefunden. Das Hauptwerk des Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473-1543), die Erstausgabe mit dem Titel „De Revolutionibus Orbium coelestium, Libri VI“. Auf dem Antiquariatsmarkt habe das Buch, das nunmehr in der Weimarer Spezialwerkstatt für Aschebücher restauriert werden soll, einen Wert von 1,4 Millionen Euro, so Bibliotheksdirektor Michael Knoche am Freitag in der Kulturstadt. Das Werk gilt als Meilenstein der Astronomie und ist nach Auffassung von Experten von kaum zu überschätzender Bedeutung für die Wissenschafts- und Kulturgeschichte der Neuzeit.In der Anna Amalia Bibliothek kam es fast genau vor zehn Jahren, am 2. September 2004, zu der verheerenden Katastrophe. Von den insgesamt 196 000 dort aufbewahrten Büchern, das Gros davon stand im spektakulären Rokokosaal, verbrannten 50 000 Titel. Weitere 118 000 Bände erlitten Schäden durch Feuer, Hitze, Löschwasser, Ruß, Rauch, Schlamm oder Holzschutzmittel. Gemessen an dem Gesamtbestand von einer Million Werken ist das ein kleiner Teil. Rund vier Fünftel des Bestandes lagerten an anderen Standorten – mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln, die Faust-Sammlung, die Shakespeare-Bibliothek und die Bibliotheken von Franz Liszt und Friedrich Nietzsche.

 

Von den etwa 3000 musikalischen Werken aus dem historischen Haupthaus sind viele für immer verloren. So gingen handschriftliche Partituren, Stimm- und Liedbücher von Orlando di Lasso, Johann Nepomuk Hummel und Karl Siegmund von Seckendorff in den Flammen auf. Auch viele Druckwerke der Fruchtbringenden Gesellschaft, jener 1617 in Weimar gegründeten ersten Vereinigung für deutsche Sprache, waren darunter.

Bis heute ist nicht ganz sicher, was den Brand auslöste

Weitere 25 000 Aschebücher, oft unersetzbaren Werke, deren Einbände bis zur Unkenntlichkeit verkohlt sind, lagern in einer Spezialwerkstatt der Stiftung Weimarer Klassik und harren ihrer Restaurierung. Wie aufwendig sich dies darstellt, belegen zwei Zahlen, die Knoche hinzufügte: Bislang konnten zwar 440 000 jahrhundertealte Buchseiten reanimiert werden. Doch unterm Strich entspricht das gerade einmal 2200 Büchern.

Bis heute ist nicht ganz sicher, was den Brand auslöste. Der Direktor hält eine schmorende Klemmverbindung hinter einer Wandverkleidung im Dach für die Ursache und stützt sich dabei auf die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes. Knoche selbst erinnert sich an die Katastrophe, als ob sie „erst einen Tag zurückläge“. Sein Team sowie Hunderte Freiwilliger konnten noch in der Brandnacht 28 000 Bücher unversehrt retten, darunter eine Luther-Bibel und andere Werke, die vor allem durch das Löschwasser geschädigt waren.

Mehr als elf Millionen Euro wurden gespendet

Am nächsten Tag versammelte der Bibliothekschef seine 80 Mitarbeiter zur Krisenversammlung: Man besprach die „dringendsten Aufgaben“, erzählt Knoche, der einst in Tübingen Germanistik, Philosophie und Theologie studierte. Nur Schritt für Schritt gab die Feuerwehr das Gebäude frei, was die weitere Aktion erschwerte. Noch Wochen später klaubten die Bibliothekare aus Schuttcontainern Hunderte angeschimmelter Bücher.

Umgehend startete im In- und Ausland eine gewaltige Hilfswelle. Es gingen Spenden in Höhe von mehr als elf Millionen Euro ein. Knapp 40 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren in Restaurierung und Wiederbeschaffung investiert. Mehr als die Hälfte davon wurde aus öffentlichen Mitteln aufgebracht. Damit stehe heute der größte Teil der beschädigten Bücher wieder in den Regalen, so Knoche. Insgesamt 27 Werkstätten in ganz Europa engagierten sich dafür. Das Grüne Schloss von Herzogin Anna Amalia – heute das historische Bibliotheksgebäude – eröffnete bereits 2007 wieder. Allein seine Rekonstruktion kostete 12,8 Millionen Euro. Dass die Bibliothek einen „Verlustkatalog“ ins Internet stellte, erleichterte es anderen Sammlungen, in ihren Beständen nach Dubletten zu fahnden. So konnte man bereits 10 000 verbrannte Bände ersetzen. Weitere 37 000 historische Werke, die seither integriert wurden, trafen als Geschenke ein. Auch US-Präsident Barack Obama brachte 2009 zwei wertvolle Bücher nach Thüringen mit.

Es hat sich ein Netz für Katastrophenschutz gebildet

Der Präsident der Klassik-Stiftung, Hellmut Seemann, betonte, der Großbrand und seine Folgen hätten das Bewusstsein für die öffentliche Verantwortung gegenüber wertvollem Kulturgut gestärkt. Er erinnerte daran, dass die Katastrophe von Weimar hätte vermieden werden können, wenn diese Priorität schon in den 90er Jahren erkannt worden wäre. Die Sanierung des maroden historischen Bibliotheksgebäudes war nach der Wiedervereinigung durch Debatten über Umfang und Finanzierung immer wieder verzögert worden.

Auch Michael Knoche erlebt einen anderen Umgang mit dem Thema: Es hat sich ein Netz für Katastrophenschutz gebildet, um Kulturgüter aus Museen, Archiven und Bibliotheken zügig retten zu können. Auch Stuttgarter Kultureinrichtungen schmiedeten mit der Feuerwehr einen Notfallplan.