Das ist in weiten Teilen ganz realistisch, ungemein detailfreudig und atmosphärisch dicht erzählt und geschildert: von den Kritzeleien auf den Schulpulten in Emils Deutschklasse bis zur dreieckigen Schwarmordnung der Keilfleckbarben in Peters Aquarium, von den nächtlichen Nervenzuständen der pegeltrinkenden Bubs bis zur verschwiegenen Kindheit von Peters „gemmenköpfiger“ Mia im Subproletariat eines Neckarvororts.

 

Und zugleich wirkt dieser Realismus auf die Dauer durchscheinend, mehrdeutig, wie beseelt. Dazu trägt vieles bei. Zwei literaturbegeisterte Obdachlose, ein wilder Riesen und ein zartes Männlein, treiben nicht nur in der Stadtbücherei, sondern in auch verschiedenen Stadtteilen paarweis ihr Wesen. Der Text ist durchzogen von romantischen Leitmotiven wie denen der Fische und des Wassers, von Erfindungen wie der Weinstube Zur Schlange am Olgaeck mit ihrem Gewölbekeller und den Literatenzeichnungen an seinen Wänden. Nicht zuletzt eröffnet Hahn durch eine wiederum sehr ehrgeizige Konstruktion aus auf wenige Wochen konzentrierter Erzählzeit, weit bis in die frühen Sechziger schwingenden Rückblenden und kurzen Flashbacks den Hallraum für Echos dessen, was hier, in diesem Kessel, schon einmal gefühlt, gesehen, besungen und beschrieben wurde.

All das macht den großen Reiz und Atem dieser Geschichte aus, die, von einem weniger befähigten Autor erzählt, in trister Milieusatire ersticken könnte. Schließlich steht im Mittelpunkt der Vertreter einer Generation und einer Schicht ohne existenzielle Sorgen und ohne Hoffnung, ein Junge und Mann, der allen guten Anlagen zum Trotz nichts aus sich macht, und das mit voller Absicht, weil die Ideale der Älteren zerbröselt sind, weil deren Ziele ebenso wenig noch seine sein können wie die seiner aufstiegsorientierten Frau.

Anna Katharina Hahn hat die Herausforderung angenommen, aus diesen miefigen Gegenständen, aus der welken Innensicht desillusionierter Intellektueller und aufgeschlossener Spießer, aus trüber Verweigerung, scheiternder Selbstbehauptung und wütendem Selbsthass, aus Kinderpipi, Frauenschweiß und Männerangst die Quelle der Poesie zu schlagen. „Zart“ und „wild“ sind die Wörter, die in diesem Roman immer wieder vorkommen, zart und wild ist die Erzählung selbst; wir kommen nicht umhin, uns für ihre Figuren sehr zu interessieren – bis zum bitteren Ende, der Offenbarung des zarten, wilden Rätsels, das jeder Mensch ist.

Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg.Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin. 240 Seiten, 19,95 Euro.

Die Kreatur, die Elemente, die Bäume, die Tiere – sie sind in diesem nicht besonders dicken, aber sehr reichen Buch von herausragender Bedeutsamkeit, der Roman verneigt sich vor Mörike und anderen Penaten der schwäbischen, der Stuttgarter Literaturgeschichte, vor Hölderlin, vor allem vor Hermann Lenz. Wie seinerzeit der nimmermüde Beschreiter und Beschreiber der Stäffele und Straßenzüge zwischen Bopser und Killesberg, Hasenberg und Frauenkopf ist Hahn mit ihren Heldinnen und Helden unterwegs zwischen Heslach und Rohracker und immer wieder in der Mitte der Stadt, zwischen dem Reich der Bibliothekarin Veronika im Wilhelmspalais am Charlottenplatz und dem traditionsreichen Gymnasium gegenüber der Staatsgalerie, an dem Emil unterrichtet.

Den zu Gunsten kaum überzeugenderer Slogans lang abgetanen Werbespruch der „Großstadt zwischen Wald und Reben“ setzt Anna Katharina Hahn überraschend wieder in sein Recht; allenthalben sprießt das unbesiegbare Grün, da hilft kein Unkrautzupfen und kein Rasenmähen, es scheint Liebende in den Wiesen zu überwuchern, dringt in die Bezirke des urbanen Verkehrslärms vor – unausweichlich landet die Erzählung im Schlossgarten, wo die realiter unterdessen gefällten Baumriesen noch von Tüchern umhüllt, von Teddys besteckt ihres Untergangs harren und Peter eine Zeit lang mit seinen Buben im Zeltdorf der Parkschützer eine Aufgabe findet und Baumhäuser baut.

Der Realismus wirkt auf die Dauer durchscheinend

Das ist in weiten Teilen ganz realistisch, ungemein detailfreudig und atmosphärisch dicht erzählt und geschildert: von den Kritzeleien auf den Schulpulten in Emils Deutschklasse bis zur dreieckigen Schwarmordnung der Keilfleckbarben in Peters Aquarium, von den nächtlichen Nervenzuständen der pegeltrinkenden Bubs bis zur verschwiegenen Kindheit von Peters „gemmenköpfiger“ Mia im Subproletariat eines Neckarvororts.

Und zugleich wirkt dieser Realismus auf die Dauer durchscheinend, mehrdeutig, wie beseelt. Dazu trägt vieles bei. Zwei literaturbegeisterte Obdachlose, ein wilder Riesen und ein zartes Männlein, treiben nicht nur in der Stadtbücherei, sondern in auch verschiedenen Stadtteilen paarweis ihr Wesen. Der Text ist durchzogen von romantischen Leitmotiven wie denen der Fische und des Wassers, von Erfindungen wie der Weinstube Zur Schlange am Olgaeck mit ihrem Gewölbekeller und den Literatenzeichnungen an seinen Wänden. Nicht zuletzt eröffnet Hahn durch eine wiederum sehr ehrgeizige Konstruktion aus auf wenige Wochen konzentrierter Erzählzeit, weit bis in die frühen Sechziger schwingenden Rückblenden und kurzen Flashbacks den Hallraum für Echos dessen, was hier, in diesem Kessel, schon einmal gefühlt, gesehen, besungen und beschrieben wurde.

All das macht den großen Reiz und Atem dieser Geschichte aus, die, von einem weniger befähigten Autor erzählt, in trister Milieusatire ersticken könnte. Schließlich steht im Mittelpunkt der Vertreter einer Generation und einer Schicht ohne existenzielle Sorgen und ohne Hoffnung, ein Junge und Mann, der allen guten Anlagen zum Trotz nichts aus sich macht, und das mit voller Absicht, weil die Ideale der Älteren zerbröselt sind, weil deren Ziele ebenso wenig noch seine sein können wie die seiner aufstiegsorientierten Frau.

Anna Katharina Hahn hat die Herausforderung angenommen, aus diesen miefigen Gegenständen, aus der welken Innensicht desillusionierter Intellektueller und aufgeschlossener Spießer, aus trüber Verweigerung, scheiternder Selbstbehauptung und wütendem Selbsthass, aus Kinderpipi, Frauenschweiß und Männerangst die Quelle der Poesie zu schlagen. „Zart“ und „wild“ sind die Wörter, die in diesem Roman immer wieder vorkommen, zart und wild ist die Erzählung selbst; wir kommen nicht umhin, uns für ihre Figuren sehr zu interessieren – bis zum bitteren Ende, der Offenbarung des zarten, wilden Rätsels, das jeder Mensch ist.

Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg.Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin. 240 Seiten, 19,95 Euro.